Geschichte

Die Politik von Johannes Rau ist heute aktueller denn je

Am 16. Januar wäre Johannes Rau 91 Jahre alt geworden. Wie richtig sein politisches Credo „Versöhnen statt spalten“ war und ist, zeigt die Gegenwart mit Politikern wie Donald Trump und Boris Johnson.
von Norbert Walter-Borjans · 15. Januar 2021
Zwei die sich gut verstanden: Ministerpräsident Johannes Rau in den 90erJahren mit seinem langjährigen Regierungssprecher Norbert Walter-Borjans
Zwei die sich gut verstanden: Ministerpräsident Johannes Rau in den 90erJahren mit seinem langjährigen Regierungssprecher Norbert Walter-Borjans

„Versöhnen statt spalten“ – das war Zeit seines Wirkens die politische Mission Johannes Raus, des zweiten sozialdemokratischen Bundespräsidenten, der zuvor als Ministerpräsident zwei Jahrzehnte lang Nordrhein-Westfalen geprägt hatte. Raus Leitlinie war alles andere als gängige Lehre. Es gab und gibt auch die Ansicht, dass Deutschland ein im harten Wettbewerb stehender Konzern sei, in dem der Ellbogen nun mal dazu gehöre. Johannes Rau hat diese kalte Sicht auf eine Gesellschaft nie geteilt, aber er hat darauf hingewiesen, dass versöhnende Politik nicht bedeute, die Soße der Harmonie über die Konflikte der Welt zu gießen.

Gegen nationalen Egoismus und Ausgrenzung

Heute wissen wir, wie wichtig das Versöhnen der gesellschaftlichen Milieus ist. Wir erfahren tagtäglich, wie wichtig die Versöhnung von Arbeit und Umwelt, von Jung und Alt und der Zusammenhalt in Europa und darüber hinaus sind. Joe Biden, der in wenigen Tagen sein Amt als 46. Präsident der USA antritt, weiß ein Lied davon zu singen. Dem Brexiteer Boris Johnson ist diese Einsicht weitgehend fremd. Die Orbans, Kaczyńskis und Erdoğans und erst recht der Diktator in Weißrussland suchen ihr Heil in nationalem Egoismus und Ausgrenzung. Auch die Rechtspopulisten hierzulande halten es eher mit der umgekehrten Maßgabe: Spalten statt versöhnen.  

Die politischen Überzeugungen Johannes Raus können uns auch heute Orientierung geben. Er ist immer dafür eingetreten, dass die politische Auseinandersetzung sich nicht in falschen Gegensätzen verfängt: Staat oder Markt, wirtschaftlicher Erfolg oder soziale Gerechtigkeit, leistungsfähige Wirtschaft oder Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Märkte müssen sozial und ökologisch geregelt werden

Er stand fest auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft. Aber er wusste: Der Markt ist wertblind. Ungeregelte Märkte haben zur Folge, dass wir von allem den Preis kennen, aber von nichts den Wert. Deshalb müssen der demokratische und soziale Rechtsstaat und die internationale Staatengemeinschaft einen Rahmen setzen, damit Menschen nicht unter die Räder geraten, damit alle angemessen am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand teilhaben und damit wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen bewahren. Das ist heute aktueller denn je, bei uns in Deutschland, in Europa und weltweit.

Wir werden den Raubbau an Natur und Umwelt nur beenden können, wenn wir die soziale Ungleichheit, die viel zu stark gewachsenen Unterschiede in Einkommen und Vermögen verringern. Höhere Mindestlöhne, die Grundrente oder das Verbot ausbeuterischer Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie sind wichtige Schritte dorthin. Die Würde des Menschen muss auch in der Arbeitswelt gelten, für alle, unabhängig von ihrer beruflichen Position. Dafür brauchen wir Tarifverträge, die für alle gelten, Betriebsvereinbarungen und klare gesetzliche Regeln.

Unsere Verantwortung für die Welt

Wir tragen Verantwortung für Deutschland, aber auch über Deutschland und Europa und über die heute lebenden Generationen hinaus – auch im wohlverstandenen Eigeninteresse. Internationale Handelsabkommen können zu einem besseren Leben für viele Menschen beitragen. Freihandel darf aber nicht bedeuten, dass Unternehmen frei sind von sozialen und ökologischen Verpflichtungen oder sich nur freiwillig engagieren. Deshalb müssen die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation über menschenwürdige Arbeitsbedingungen und soziale Garantien fester Bestandteil aller neuen Handelsabkommen sein, die die Europäische Union für ihre Mitgliedsstaaten schließt. Ebenso wie das Pariser Klimaabkommens und die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die Vereinten Nationen 2015 beschlossen haben.

Wir brauchen auch einen neuen Anlauf für Rüstungskontrolle und Abrüstung. Die großen Herausforderungen an die Menschheit lassen sich nicht mit militärischen Mitteln lösen. Diese Überzeugung Johannes Raus ist bis heute richtig. Die ersten 20 Jahre des 21. Jahrhunderts haben gezeigt, dass militärische Interventionen, aus welchen Gründen auch immer sie begonnen wurden, zu unermesslichem menschlichen Leid, zu Flucht und Vertreibung, zu Zerstörung und Chaos geführt haben. Deshalb müssen wir alles in unseren Kräften Stehende dafür tun, die Sicherheit friedlicher und den Frieden sicherer zu machen.

Ein Menschenfreund und großer Sozialdemokrat

Am 16. Januar wäre Johannes Rau 90 Jahre alt geworden. Ich habe viele Jahre für ihn und mit ihm gearbeitet, zuletzt sieben Jahre als sein Regierungssprecher. Ich denke gerne an diese Zeit, weil Johannes Rau ein Mensch mit klaren Grundsätzen war, aber gegen Dogmatismus und Prinzipienreiterei. Er hatte ein unverkrampftes Verhältnis zu politischer Macht, war aber kein Mensch für Machtspiele. Er war ein Menschenfreund und ein Menschenfischer, aber Kumpanei war ihm fremd. Er war ein großer Sozialdemokrat.

Der Text erschien zu Johannes Raus 90. Geburtstag am 16. Januar 2021.

Autor*in
Norbert Walter-Borjans
Norbert Walter-Borjans
war von 2019 bis 2021 SPD-Parteivorsitzender und von 2010 bis 2017 Finanzminister von Nordrhein-Westfalen.
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