Geschichte

Die Frankfurter Paulskirche: ein Denkmal für die Demokratie?

Am 18. Mai 1848 trat in der Frankfurter Paulskirche erstmals das erste gesamtdeutsche Parlament zusammen. Nun soll das Gebäude zu einem Gedenkort für die Demokratie werden. Was muss ein solches Demokratiezentrum leisten?
von Peter Beule · 18. Mai 2022
Zerstört und wiederaufgebaut: Die Frankfurter Paulskirche ist einer der bedeutendsten Orte der deutschen Demokratiegeschichte.
Zerstört und wiederaufgebaut: Die Frankfurter Paulskirche ist einer der bedeutendsten Orte der deutschen Demokratiegeschichte.

Die Frankfurter Paulskirche ist zweifelsohne einer der bedeutendsten Orte der deutschen Demokratiegeschichte. Am 18. Mai 1848 trat hier das erste gesamtdeutsche Parlament zusammen und verabschiedete die erste demokratische Verfassung Deutschlands. Vor dem Hintergrund des 175. Jahrestags dieses herausragenden Ereignisses im Jahr 2023 und der nun schon seit mehreren Jahren diskutierten Pläne für die notwendige Sanierung der Paulskirche ist eine lebendige Debatte über ihre zukünftige Ausgestaltung entstanden. Diese ordnet sich ein in die seit geraumer Zeit breiter geführten Diskussionen und verstärkten Bemühungen, Demokratiegeschichte stärker in der Erinnerungskultur zu verankern.

Im Krieg ausgebrannt, 1948 wiederaufgebaut

In einem organisierten Rahmen wird dies seit 2017 von der Arbeitsgemeinschaft Orte der Demokratiegeschichte vorangetrieben. Dass der Paulskirche in diesem Zusammenhang eine herausgehobene Bedeutung zugeschrieben wird, kommt auch darin zum Ausdruck, dass die bereits bewilligte Bundesstiftung „Orte der Demokratiegeschichte“, die öffentliche Gelder nicht nur für die Paulskirche, sondern für ein breites Netzwerk aus Erinnerungsorten der Demokratie zur Verfügung stellen soll, ihren Sitz in Frankfurt am Main haben wird. Im Hinblick auf die Zukunft der Paulskirche regte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits 2019 dazu an, sie zu einer „modernen Erinnerungsstätte für die Demokratie“ zu machen, zu einem „Erlebnisort, der Wissen, Bildung und Debatte verbindet“. Doch wie soll an was erinnert werden?

Ein zentrales Problem war zunächst schnell identifiziert. Der Paulskirche fehle die „Aura“ als „authentischer, historischer Ort“, wie namhafte Politikwissenschaftler*innen und Museumsdirektor*innen anmerkten. Nachdem die Paulskirche durch die Luftschläge des Zweiten Weltkriegs fast vollständig ausgebrannt war, wurde sie 1948 betont sachlich wiederaufgebaut. Ein monumentaler Gedenkort war dies freilich nicht. Es gelte nun, den in dieser Sicht fehlgeschlagenen Wiederaufbau durch eine Rekonstruktion des Tagungsorts der Nationalversammlung im Zustand von 1848 zu korrigieren. So könne eine Leerstelle in der so symbolarmen Gedenkstättenlandschaft der Bundesrepublik geschlossen werden.

Ein Haus der Demokratie

Die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters erkannte darin ebenfalls die Voraussetzung dafür, der Demokratie in Deutschland ein „Denkmal“ zu setzen, auf das man „vielleicht sogar stolz und selbstbewusst zurückzuschauen“ könne, wie sie in einem Diskussionsbeitrag in der Frankfurt Allgemeinen Zeitung formulierte. Flankiert werden soll die neu geschaffene Gedenkstätte durch ein neues Demokratiezentrum, ein „Haus der Demokratie“, in unmittelbarer Nähe der Paulskirche, das in einer ergänzenden und komplementären Beziehung zum eigentlichen Gedenkort steht und einen „Lernort“ der Demokratie darstellen soll. Eine unabhängige Expert_innenkommission hat den Auftrag, bis zum Mai des Jubiläumsjahrs 2023 konkrete Umsetzungsvorschläge zu entwickeln.

Die vor allem von Berliner Stimmen geforderte (Teil)-Rekonstruktion der Paulskirche im „authentischen“ Zustand von 1848 scheint mittlerweile vom Tisch. Wie in der Presse kürzlich berichtet wurde, habe sich die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth zur Bewahrung der Entwurfsidee von 1948 bekannt. Diese Entscheidung ist mit plausiblen Argumenten zu begründen.  Architekt*innen und Historiker*innen hatten der Rekonstruktionsargumentation schon früh entgegengehalten, der klassizistische Bau von 1948 transportiere eine eigenständige und heute noch relevante Botschaft: die des demokratischen Neuanfangs nach den Verheerungen des „Dritten Reiches“, dem Nüchternheit besser zu Gesicht stand als monumentale Bauten. 

Ein Demokratiezentrum als Chance

Doch wie geht es darüber hinaus weiter mit der Paulskirche? Zweifelsohne können starke symbolische Orte zum Verständnis demokratischer Ordnung und zur Identifikation mit ihnen beitragen. Aber: Ist eine Konzeption, die das reine Demokratiegedenken in den Mittelpunkt rückt, heute zeitgemäß und zielführend? Sicher nicht, wie mehrere Vertreter*innen der Wissenschaft wie der Zivilgesellschaft vor allem aus dem Frankfurter Umfeld betont und gut begründet haben. Orte des Gedenkens gibt es bereits, allen voran das Haus der Geschichte in Bonn und das Deutsche Historische Museum in Berlin. Was heute benötigt wird ist ein echter Ort des Diskurses, der Demokratie als gesellschaftliche Praxis erlebbar und zugänglich für alle macht.

In einer Zeit, in der mühsam erkämpfte demokratische Normen, Institutionen und Verfahren vielerorts in Europa durch autokratische Tendenzen bedroht oder bereits zerstört worden sind, und in der die Unzufriedenheit der Menschen mit der gelebten demokratischen Praxis auch hierzulande zunimmt, stellt die Schaffung eines Demokratiezentrums eine große Herausforderung, aber auch eine Chance dar. Gelingt es, durch sinnliches und praktisches Erleben von Demokratie einen neuen Raum für Dialog, Diskussion und reflektiertes Erinnern zu erschließen, kann ein echter Beitrag zur Stärkung der Demokratie geleistet werden. Entscheidend wird sein, Menschen jenseits der politik- und bildungsaffinen bürgerlichen Zielgruppen zu erreichen – vor allem auch diejenigen, die im politischen Diskurs marginalisiert sind.

Das Ringen um die Demokratie

Für einen heute entstehenden, neuen Erinnerungsort Paulskirche ist zudem eine Fokussierung auf die europäische Dimension von 1848 zentral. Problematisch ist es, wenn mit einem starken nationalen Demokratiesymbol eine Erfolgsgeschichte der Demokratie mit dem Ziel erzählt werden soll, „Stolz“ auf die demokratischen Errungenschaften zu ermöglichen. Die Historiker Christoph Cornelißen und Dirk van Laak haben zurecht vor dem „Weihestätten-Charakter“ eines solchen Unterfangens gewarnt. Eine harmonisierende Demokratieerzählung ist ahistorisch und läuft Gefahr, Entscheidendes aus dem Blick zu verlieren: Demokratie ist immer Resultat von politischen Kämpfen über einen langen Zeitraum. Ihr Weg ist verbunden mit Konflikten, widerstreitenden Interessen, Rückschlägen und Gegenbewegungen, und auch mit Gewalt und Zusammenbrüchen.

Ein neues Demokratiezentrum sollte das Ringen um die Demokratie in den Vordergrund rücken und erfahrbar machen, dass Demokratie erkämpft wurde und auch heute und in Zukunft erkämpft werden muss. Dies wird durch das Aufzeigen der Schwierigkeiten bei der Etablierung und Bewahrung der Demokratie deutlicher als durch eine neue (alte) Meistererzählung. Ausgehend von 1848 und den Folgeentwicklungen dürfen vor allem die sozialen Kämpfe als Geschichte des Einsatzes für politische und soziale Gleichstellung, für gleiche Lebenschancen und Teilhabe aller Schichten nicht ausgespart werden. Sonst bliebe jede Demokratiegeschichte unvollständig.

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Autor*in
Peter Beule

ist Referent im Referat Public History des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

 

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