Geschichte

Die Armut ist geblieben - der Abschlussbericht der "Nord-Süd-Kommission" 1980

von Die Redaktion · 8. Dezember 2005
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Willy Brandt, der als Friedensnobelpreisträger und Vorsitzender der Sozialistischen Internationale (seit November 1976) großes internationales Ansehen besaß, wird im September 1977 Vorsitzender der auf Anregung des Weltbankpräsidenten McNamara gebildeten "Kommission zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Industrie- und Entwicklungsländern" (auch "Brandt-Kommission" genannt). Der "pluralistisch" zusammengesetzten Kommission gehören prominente Persönlichkeiten aus den Industrie- und den Entwicklungsländern und unterschiedlicher politischer Orientierung an, unter anderem der schwedische Ministerpräsident Olof Palme. Dennoch kann die Kommission einen gemeinsamen Abschlussbericht, auch "Brandt-Bericht" genannt, verabschieden.

Der Titel des Berichts - "Nord-Süd: Ein Programm zum Überleben" - zeigt, wie katastrophal die Kommission die Lage im Süden einschätzt und welchen dringenden Handlungsbedarf sie sieht. Sie unterstützt die Forderungen, die Entwicklungsländer und die UNO schon seit Anfang der siebziger Jahre erheben: Schaffung einer gerechteren neuen Weltwirtschaftsordnung, um den armen Ländern mehr Entwicklungschancen zu geben; Erhöhung der Entwicklungshilfe bis 1985 auf 0,7 Prozent, bis 2000 auf 1 Prozent des Bruttonationalprodukts der reichen Länder; Erhebung zweckgebundener internationaler Steuern, z. B. auf Waffenexporte und Finanztransaktionen.

In den 80er Jahren sind die politischen Rahmenbedingungen für die praktische Umsetzung des "Programms zum Überleben" nicht gerade günstig. Statt auf politische Programme zur Bekämpfung der Armut vertrauen die Machteliten, vor allem auch Margret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA, beim Kampf gegen die Armut lieber auf das "gottgewollte" Wirken des Marktes. Und angesichts des internationalen Wettlaufs um massive Steuersenkungen haben internationale Steuern erst recht keine Chance.

Die Entwicklungshilfe stagniert oder wird sogar reduziert. Nur die skandinavischen Länder (Schweden schon 1975) und die Niederlande, also die Länder mit der geringsten Ungleichheit im eigenen Land, zahlen 0,7 Prozent ihres Sozialproduktes oder sogar mehr für die Verringerung der Ungleichheit zwischen Nord und Süd, die weiterhin dramatisch zunimmt: 1960 erhält das ärmste Fünftel der Weltbevölkerung noch 2,3 Prozent des Welteinkommens, das reichste Fünftel 70 Prozent. Bis 1994 wird dieser Anteil des ärmsten Fünftels von 2,3 Prozent auf 1,1 Prozent mehr als halbiert, während der Anteil des reichsten Fünftels von 70 Prozent auf 86 Prozent ansteigt.

Ein UN-Bericht stellt im September 1998 fest: "Die Armut wächst. Eine Milliarde Menschen in 70 Ländern muss heute sogar mit weniger auskommen als vor 50 Jahren." Vor 25 Jahren nennt der "Brandt-Bericht" die Umgestaltung der Nord-Süd-Beziehungen die "größte Herausforderung der Menschheit für den Rest dieses Jahrhunderts". Er benennt auch schon die Ursache für das mögliche Versagen vor dieser Herausforderung: Es fehle nicht an technischen Mitteln zur Abwendung der drohenden Katastrophe, sondern an einem "klaren und allgemeinen Bewusstsein der Realitäten und Gefahren und dem politischen Willen, ihnen ins Gesicht zu sehen und Abhilfe zu schaffen".

Das "Impulspapier Globalisierung" einer Arbeitsgruppe der Programmkommission der SPD (vorwärts 10/2004) stellt sich der "Herausforderung" und bemüht sich, der "Gefahr ins Gesicht zu sehen": "Weltweit leben 1,2 Milliarden Menschen von weniger als 1 Euro am Tag, 2,8 Milliarden von weniger als 2 Euro am Tag." Und mit dem Hinweis auf Gerechtigkeit auch im internationalen Rahmen wird "eine gerechte Weltwirtschaftsordnung" gefordert. Im Januar 2005 hat nicht nur das Weltsozialforum in Porto Alegre, sondern auch das Weltwirtschaftsforum in Davos die Politik aufgefordert, auf die "größte Herausforderung der Menschheit" angemessen zu antworten.

Von Horst Heimann

Quelle: vorwärts 3/2005

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