Die Familie Tietz hatte in der Weimarer Republik ein Warenhaus-Imperium aufgebaut. Die Nationalsozialisten enteignen die jüdischen Unternehmer. An der Arisierung federführend beteiligt: Die deutschen Großbanken Commerzbank, Deutsche Bank und Dresdner Bank. In der Wuppertaler Begegnungsstätte „Alte Synagoge“ spricht die Historikerin Hildegard Jakobs über die Familie Tietz.
Leonhard Tietz gründet 1879 ein etwas 25 Quadratmeter großes Geschäft. Es läuft gut und schon drei Jahre später eröffnet er in Elberfeld – heute ein Wuppertaler Stadtteil, damals das ersten große Industriezentrum Deutschlands – eine Filiale.1885 expandiert Tietz erneut, sein neues Lokal in der Elberfelder Herzogstraße gilt heute als erstes Warenhaus Deutschlands.
Das Geschäftsmodell Warenhaus
„Einkaufen sollte zu einem Event werden, in anspruchsvoller Architektur und schönem Ambiente“, erläutert Hildegard Jakobs. Es folgen weitere Neueröffnungen, unter anderem in Düsseldorf und in Köln. Leonhard Tietz’ Kaufhäuser sind dafür bekannt, dass es hochwertige Produkte zu festen Preisen gibt – ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Am 24. April 1912 öffnet die Leonhard Tietz AG am Elberfelder Nordmarkt einen weiterer Einkaufstempel, entworfen vom damaligen Star-Architekten Wilhelm Kreis.
Als Leonhard Tietz 1914 stirbt, übernimmt sein 31-jähriger Sohn Alfred die Leitung des Kaufhauskonzerns mit seinen 5.000 Beschäftigten. 1929, zum 50. Gründungsjubiläum. Des Konzerns gibt es 43 Warenhäuser in West- und Süddeutschland. „Bis 1929/30 ist die Leonhard Tietz AG eine einzige Erfolgsgeschichte“, erklärt Hildegard Jakobs.
Gleiches gilt auch für die Firma Hermann Tietz. Sie wird 1882 in Gera von Oscar Tietz gegründet, mit dem Kapital seines Onkels Hermann. Die „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz“ verfolgt eine ähnliche Unternehmensphilosophie wie die Leonhard Tietz AG. Hermann Tietz betreibt Warenhäuser und expandiert bis nach Berlin. 1926 übernimmt er das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) in Berlin-Schöneberg. Während sich die Leonhard Tietz AG mit ihren Filialen auf Westdeutschland und Belgien konzentriert, führt Hermann Tietz seine Geschäfte im Osten des Landes. 1927 sind in seinem Unternehmen 13.000 Angestellte beschäftigt.
Aus Tietz wird Kaufhof und Hertie
Mit der Weltwirtschaftskrise beginnen die Anfeindungen von Juden. Die Kaufkraft sinkt und die Konkurrenz zwischen den Unternehmen wird härter. Am 1. April 1933 gibt es einen reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte. Wer weiterhin in diesen Unternehmen einkauft wird denunziert. Zeitungen die mit jüdischen Werbekunden arbeiten, werden angeprangert. „Die Blätter verzichten schließlich auf die Einnahmen, weil der Druck zu groß wird“, so Hildegard Jakobs. Die Warenhäuser der Leonard Tietz AG werden zu einer Zielscheibe der nationalsozialistischen Politik.
Die SA übt Terror aus, die Banken kündigen Alfred Tietz sämtliche Kredite. So tritt er 1933 aus dem Unternehmensvorstand zurück. Er bittet seinen Freund Otto Baier die Geschäftsführung des Warenhauskonzerns zu übernehmen. Er soll die „arische Vorstandsmehrheit“ ermöglichen. Ein Jahr später scheidet Alfred Tietz auch aus dem Aufsichtsrat aus. Die Aktien, deren im Preis tief gesunken ist, werden an die neuen Mehrheitseigentümer verkauft, an drei große Banken: Commerzbank, Deutsche Bank und Dresdner Bank.
Die neuen Hauptaktionäre bestehen auf eine Namensänderung. Aus der Leonhard Tietz AG die „Westdeutsche Kaufhof AG“. Auch die Hermann Tietz AG darf den jüdischen Namen nicht mehr führen. Sie firmiert nun als „Hertie“, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben des Gründers Hermann Tietz. Die Dresdner Bank ernennt Georg Karg 1933 zum Geschäftsführer, der kauft das Unternehmen Hertie 1940. Hildegard Jakobs macht deutlich wie rasant dieser Prozess ablief: „Die große Arisierung der Warenhäuser ist bereits 1933 abgeschlossen“, sagt sie.
Die persönliche Tragödie nimmt ihren Lauf: Alfred Tietz flieht gemeinsam mit seiner Frau und seiner Mutter 1940 in die Niederlande. Von dort erreichen sie über Belgien und Frankreich Palästina. Am 4. Juli 1941 stirbt er in Jerusalem. Seine Mutter stirbt nur wenig später. Seine Ehefrau Margarete Tietz verlässt Israel 1948 und leitet in New York ein Altersheim. Sie stirbt am 26. Februar 1972 in London.