Geschichte

Der Zusammenprall zweier Welten

von Sarah Schönewolf · 2. September 2014
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Zwei ungleiche Rollenbilder formten Ost- und Westdeutschland. Eva Kunz und Manuela Schwesig beschreiben, wie sie als Ostfrauen nach der Wende in einer fremden Welt zurechtkommen mussten.

Ehegattensplitting? "Das fand ich schon 1990 ausgesprochen komisch", sagt das Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) in der DDR Eva Kunz und schüttelt lachend den Kopf: "Das war doch völlig unlogisch." Was für Kunz das westdeutsche Steuermodell ist, ist für Familienministerin Manuela Schwesig die westdeutsche Kinderbetreuung: unfassbar. Völlig unverständlich sei es für sie gewesen, sagt Schwesig, dass eine Freundin aus München, die wieder arbeiten wollte, als ihr Kind drei Jahre war alt, keinen Kitaplatz fand. "Das war für mich unfassbar, das habe ich nicht verstanden."

Als die Mauer fiel, wurden Schwesig, damals 15 Jahre alt, und die seinerzeit 42-jährige Kunz nicht nur mit einem neuen Wirtschaftssystem, sondern auch mit einem neuen Frauenbild konfrontiert. Und ihre Begeisterung für das Westmodell hielt sich in Grenzen: Während die durchschnittliche Ostfrau berufstätig war und ihre Kinder erzog, blieb die Frau im Westen für die Kindererziehung zu Hause oder arbeitete als "Zuverdienerin" in Teilzeit und kümmerte sich um den Haushalt. Erst seit 1977 durften Frauen in der BRD ohne Einverständnis des Ehemannes berufstätig sein. Zu diesem Zeitpunkt existierten in der Verfassung des "Arbeiter- und Bauernstaates" bereits ein "Recht und eine Pflicht zur Arbeit", die von mehr als 90 Prozent der Frauen, Auszubildende eingeschlossen, wahrgenommen wurden.

Selbstverständlich selbstständig

"Es war einfach in der DDR üblich, dass Frauen berufstätig waren. Das lag aber nicht an einem gleichstellungspolitischen Programm von Honecker & Co", erinnert sich die Familienministerin. Dass Frauen arbeiteten, war nicht nur ideologisch gewünscht, sondern auch ökonomisch notwendig. Der notorische Arbeitskräftemangel sollte nicht nur durch Schichtbetrieb, sondern auch durch alle Frauen und einer Wochenarbeitszeit von 43,75 Stunden ausgeglichen werden. Auch für Schwesig war die Berufstätigkeit ihrer Eltern selbstverständlich: "Meine Eltern haben beide gearbeitet und damit auch beide den Haushalt geschmissen. Kita, Ganztagsschule – das war alles normal."

Beruf und Kinder zu managen, belastete die Frauen in der DDR doppelt. Langfristig wirkte es aber wie ein Emanzipationsmotor. Weil arbeitende Mütter weniger Kinder gebaren, intervenierte der Staat in den 70er Jahren mit einer Reihe von sozial- und gleichstellungspolitischen Maßnahmen: Das Kindergeld wurde erhöht, neben dem Recht auf Arbeit gab es auch das Recht auf einen Kindergartenplatz. Für ostdeutsche Frauen war es einfacher straffrei abzutreiben und nach der Geburt konnten sie ein "Babyjahr" lang zu Hause bleiben. Davon fünf Monate bei vollem, die restlichen sieben Monate bei 70- bis 90-prozentigem Lohnausgleich.

Harte Diskussionen

Mit der Wiedervereinigung kollidierte dieses ostdeutsche Frauenbild einer ökonomisch unabhängigen und zugleich fürsorgenden "Mutti", mit den westdeutschen Vorstellungen des "Mutterseins". Kunz erinnert sich: "Da prallten zwei Welten aufeinander." Gemeinsam mit 54 weiblichen Delegierten der SPD gründete sie im Februar 1990 die ASF in der DDR mit und arbeitete in der deutsch-deutschen Frauenkommission. "Die DDR war ja nicht das Paradies der Selbstverwirklichung. Das auf keinen Fall. Dennoch hatte ich damals das Gefühl, dass wir Ostfrauen eine Menge zu verlieren hätten", so die frühere Gleichstellungsstadträtin im Ostberliner Magistrat.

Dass Errungenschaften, wie das Recht auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie erhalten blieben, sei dem entschiedenen Engagement von Ost- und Westfrauen zu verdanken. Etwa dem von Regine Hildebrandt und der früheren ASF-Vorsitzenden Inge Wettig-Danielmeier. "Es hat auch harte Diskussionen zwischen den Ost- und Westfrauen in der ASF gegeben", weiß Kunz. "Wir wollten unsere Rechte nicht so einfach aufgeben." Sie seien aber sehr herzlich von den westdeutschen Sozialdemokratinnen aufgenommen worden. "Ich hatte den Eindruck, dass die auch eine ganze Menge von uns erwartet haben."

Die Fortschritte des Ostens, die sie als Selbstverständlichkeiten erlebten, alle in den Westen zu transportieren, gelang den ostdeutschen Frauen bei allem politischen Engagement nicht. Stattdessen kämpften sie vor allem mit ökonomischen Problemen. Die Frauenarbeitslosigkeit im Osten stieg Anfang der 90er Jahre auf zirka 20 Prozent. Dennoch sind die ostdeutschen Frauen keine Wendeverliererinnen, findet SPD-Vizin Manuela Schwesig.

Im Gegenteil: Sie bereicherten mit ihren Erfahrungen Gesamtdeutschland und unterschieden sich auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch immer von den Frauen im Westen: "Ostdeutsche Frauen gehen selbstverständlicher mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf um." Frauen- und Familienministerin Schwesig ist es daher wichtig, "dass Frauen, die diese Doppelbelastung haben, wertgeschätzt und anerkannt werden, weg von diesem Rabenmutterimage". Sie gibt aber auch zu: "Ich bohre da kein dickes Brett, sondern einen Granitblock."

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Interview mit Manuela Schwesig

Autor*in
Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

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