Vor 70 Jahren starb der Vorsitzende der sudetendeutschen Sozialdemokraten Ludwig Czech im KZ Theresienstadt.
Am 20. August 1942 wird ein kruder Brettersarg auf einen Leiterwagen gehoben, vor die Tore der Stadt verbracht und dort auf einem anonymen Gräberfeld verscharrt. Zurück in der Stadt, die nach der österreichischen Kaiserin Maria Theresia benannt ist, bleibt Lilly Czech, deren letzte Erinnerung an ihren Ehemann Ludwig von Verbitterung geprägt wird: „Auf dem letzten Weg durfte ihn jedoch niemand begleiten, kein Gedenkstein weist auf seine letzte Ruhestätte im Massengrab hin. Das Vaterland, das uns fremd geworden, hat ihn verleugnet.“
Spätes Gedenken
An diese Worte erinnerte am 1. September 1993 der stellvertretende Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokratie Pavel Novák, als in Anwesenheit des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel, des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky und des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel eine Gedenktafel für den unbeugsamen Demokraten Ludwig Czech enthüllt wurde.
Die ehemalige Festung Theresienstadt, in deren Mauern in jenen Augusttagen des Jahres 1942 über 50.000 Menschen eingepfercht sind, ist für viele, wie Vaclav Havel es ausdrückte, „eine Umsteigestation auf ihrem Weg, der zu einem sicheren und grausamen Tod führte“. Für Ludwig Czech, „den bedeutenden Politiker, langjährigen Vorsitzenden der sudentendeutschen Sozialdemokraten und Mitglied mehrerer unserer Vorkriegsregierungen“, so Havel, ist Theresienstadt Endstation.
Geboren wird Ludwig Czech am 14. Februar 1870 als zweitältestes von sieben Geschwistern in Lemberg, wohin der Vater, ein Eisenbahner, von Brünn aus versetzt worden war. Die wirtschaftlichen Verhältnisse zwingen die große Familie nach Brünn zurückzukehren. Trotz großer Entbehrungen ist es Ludwig Czech vergönnt in Wien das Studium der Rechtswissenschaften aufzunehmen. Seinen Unterhalt verdient er als juristischer Stenograf. In Wien lernt Czech Viktor Adler kennen, den Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Diese Begegnung prägt den jungen Mann für den Rest seine persönlichen und politischen Lebens.
Gründer der ersten Bezirkskrankenkasse
Nach Abschluss seines wissenschaftlichen und politischen Studiums lässt sich Ludwig Czech in Brünn als Rechtsanwalt nieder, wo er sich im örtlichen Arbeiterbildungsverein engagiert. 1903 macht sich Czech einen Namen als Sozialpolitiker und gründet die erste Bezirkskrankenkasse der k.u.k. Monarchie. Die ist ihrer Zeit weit voraus, da zum ersten Mal auch Angehörige mitversichert werden.
Auf dem Parteitag der österreichischen Sozialdemokraten in Brünn macht Czech bereits 1899 als Redner auf sich aufmerksam und ficht leidenschaftlich für gleiche Rechte aller Völker in der Donaumonarchie. Dieses Engagement wird prägend für seine politische Arbeit im Nationalitätenstaat Tschechoslowakei. Nach dem Zerfall Österreich-Ungarn müssen sich die sudetendeutschen Sozialdemokraten, die das Rückgrat der österreichischen Arbeiterpartei gebildet hatten, neu organisieren. Auf dem Parteitag in Teplitz gründen sie 1919 die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Ludwig Czech wird zu einem der Stellvertreter des Vorsitzenden Josef Seliger gewählt.
Der zweite Parteitag der SDAP in Karlsbad, dem Ludwig Czech vorsteht, wird zur Zerreißprobe für die junge Partei. Die Parteilinke ist auf Spaltungskurs und tritt Anfang 1921 als deutsche Sektion der neuen Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bei. Das ist für die SDAP, die bei den ersten Parlamentswahlen mit 44 Prozent die weitaus stärkste Partei im deutschsprachigen Bereich der Republik geworden ist, ein schwerer Schlag. Noch schwerer trifft sie der plötzliche Tod des Parteivorsitzenden Josef Seliger wenige Tage nach dem Karlsbader Parteitag.
Die „Czech-Karten“
Auf dem folgenden Parteitag in Tetschen wird Ludwig Czech einstimmig zum Vorsitzenden der SDAP gewählt. Er übernimmt ein schweres Amt. Die eigene Partei muss nach der Spaltung stabilisiert werden und die Zusammenarbeit mit den noch ärger durch die Abspaltung der Parteilinken gebeutelten tschechischen Sozialdemokraten bedarf einer Neuorientierung. Dies gelingt 1928 auf dem Kongress von Smichov, wo ein Entwurf Ludwig Czechs zur gemeinsamen Arbeit der tschechischen, polnischen, ungarischen und deutschen Sozialdemokraten angenommen wird.
Das zahlt sich bei den Wahlen des Jahres 1929 aus. Die SDAP gewinnt vier Mandate hinzu und tritt in die neu gebildete Koalitionsregierung ein. Ludwig Czech wird, nicht zuletzt seines sozialpolitischen Renommees wegen, Minister für Fürsorge. Dieses Amt wird schon ein Jahr später zur Herkulesaufgabe, denn die Weltwirtschaftskrise trifft die Tschechoslowakei und vor allem die sudentendeutschen Industriegebiete besonders hart. Czech reagiert mit einem System von Lebensmittelanweisungen, die als „Czech-Karten“ in die Geschichte eingehen.
Zu Ludwig Czechs 60. Geburtstag gratuliert der tschechische Staatspräsident Tomás G. Masaryk mit den anerkennenden Worten: „Durch Ihren Eintritt in die Regierung haben Sie zur Annäherung beider sozialdemokratischen Parteien beigetragen. Sie haben beigetragen zur Annäherung beider Nationen, von deren Zusammenarbeit die glückliche Zukunft unserer Republik abhängt.“
Schirmherr für deutsche und österreichische sozialdemokratische Emigration unter Hitler
Mit der Machtübertragung an Adolf Hitler und dem Erstarken der sudentendeutschen Henlein-Faschisten wird die „glückliche Zukunft“ schon bald überschattet. Große Teile des SPD-Vorstands flüchten aus Deutschland über die nahe Grenze in die Tschechoslowakei und Ludwig Czech wird seinem Amt als Fürsorgeminister in besonderer Weise gerecht. Er wird Schirmherr für die deutsche und wenig später auch österreichische sozialdemokratische Emigration.
Gemeinsam mit Wenzel Jaksch, seinem Nachfolger als Parteivorsitzender, sorgt Czech, der bis 1938 Minister bleibt, dafür, dass viele Emigranten unabhängig von ihrem Status die gefährdete Tschechoslowakei verlassen können, bevor sie von den Nazi-Invasoren gefasst werden. So können Otto Wels, Hans Vogel und Erich Ollenhauer nach der Annexion des Sudetenlandes durch Nazi-Deutschland ins vermeintlich sichere Frankreich flüchten.
Ludwig Czech zieht mit seiner Frau nach Brünn und wähnt sich dort sicher. Eine fatale Fehleinschätzung. Das für ihn und Lilly Czech bereitliegende Ausreisevisum in die Niederlande nimmt er trotz aller Warnungen nicht wahr. Nach der von den Nazis so genannten „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ holen die Nazis den verhassten Juden und Sozialdemokraten Ludwig Czech aus seiner Brünner Wohnung, rauben seine geliebte Bibliothek und weisen ihm und seiner Frau ein Zimmer zu, in dem sie ohne Zeitungen und Radio praktisch von der Außenwelt abgeschnitten werden.
Mitte März 1942 werden Lilly und Ludwig Czech von Brünner Nazis nach Theresienstadt verschleppt, wo der große sudentendeutsche Sozialdemokrat in der Nacht vom 19. auf den 20. August 1942 an den Folgen der Nazi-Barbarei stirbt. Heute erinnert eine Gedenktafel an der Außenwand des ehemaligen Kulturhauses in Theresienstadt an den unbeugsamen Demokraten Ludwig Czech.
Weitere Informationen:
„Symbolischer Staatsakt für einen unbeugsamen Demokraten“, Schriftenreihe der Seliger-Gemeinde München, o.J.
„Die sudetendeutschen Sozialdemokraten“, Ausstellungskatalog, Seliger-Gemeinde München (Hrsg.), 2009
„Rückschau auf 50 Jahre Seliger-Gemeinde“, München, 2001