Geschichte

Der rastlose Aufklärer

von Lothar Pollähne · 14. August 2012

Ein kleines Foto, das im Oktober 1972 in der Braunschweiger Zeitung und wenigen anderen Publikationen erscheint, steht in unmittelbarer Tradition zu einem Foto, das am 7. Dezember 1970 von Warschau aus um die Welt ging und den Kniefall Willy Brandts zeigt. Abgebildet sind Wladyslaw Markiewicz und Georg Eckert, die für ihre jeweiligen UNESCO-Kommissionen die Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen auf dem Gebiet der Schulbuchrevision präsentierten.

Mit dieser Vereinbarung setzt Georg Eckert ein Ausrufezeichen in seinem an herausragenden Ereignissen nicht armen Leben. Geboren wird er am 14. August 1912 in einem sozialdemokratischen Elternhaus in Berlin. Vater Georg ist Redakteur, Mutter Lisa kam aus der Ukraine und hatte 1905 an der ersten Revolution in Russland teilgenommen. Georg Eckert engagiert sich in der Sozialistischen Arbeiterjugend, kämpft im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und tritt der SPD bei. Nach seiner Immatrikulation an der Universität Berlin übernimmt Georg Eckert 1932 den Vorsitz der sozialistischen Studentenschaft und „begibt sich in Gefahr“. Einem Mordanschlag kann er knapp entkommen.

Georg Eckert sucht das „Abseits als sicheren Ort“ und wechselt an die Universität Bonn, wo er 1935 mit einer Arbeit über Mikronesien im Fach Völkerkunde promoviert wird. Von Bonn aus hält er Kontakt zu sozialdemokratischen Widerstandsgruppen. In Absprache mit der ehemaligen Berliner Oberschulrätin Hildegard Wegscheider tritt Eckert 1938 der NSDAP bei.

Im 2. Weltkrieg wird Georg Eckert nach einer kurzen meteorologischen Ausbildung Leiter der Wetterwarte in Saloniki. Parallel dazu betreibt er ethnologische Feldforschung und verfasst seine Habilitationsschrift über „Totenkult und Lebensglaube im Caucatal“. Diese Forschungsarbeiten bieten Eckert die Möglichkeiten, Kontakte zu griechischen Partisanen aufzunehmen. Nach dem 20. Juli 1944 läuft Eckert zur „Volksbefreiungsarmee“ über.  

Geschichtsunterricht nach '45
Nach der Gefangennahme durch die Briten zieht sich Georg Eckert einen Lungenabzess zu und wird an Stelle der Gefangenschaft in ein britisches Lazarett in Goslar verbracht. Von dort aus versucht er, Kontakte zu alten Genossinnen und Genossen aufzunehmen. Eine neue Bekanntschaft soll sein weiteres Leben bestimmen. Im Herbst 1946 holt der Braunschweiger Ministerpräsident Alfred Kubel den jungen Georg Eckert an die Kant-Hochschule in Braunschweig, wo er als Dozent für Geschichte und Methodik des Geschichtsunterrichts tätig wird.

In Absprache mit der britischen Militärregierung erarbeitet Georg Eckert Lehrpläne für den Geschichtsunterricht, die sich mit ihrem sozial- und wirtschaftspolitischen Ansatz bewusst gegen einen kulturhistorisch geprägten Geschichtsunterricht setzen. Legendär sind Eckerts auf Zeitungspapierresten gedruckten „Beiträge für den Geschichtsunterricht“, die sich mit den „Bauernkriegen, dem „Vormärz“ oder der „48er Revolution“ beschäftigen. Das hatte es in Deutschland bis dato nicht gegeben. Angesichts fehlender Schulbücher finden die „Beiträge“ reißenden Absatz.

1951 gründet Georg Eckert mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das „Internationale Institut für Schulbuchverbesserung“. Er folgt damit Erkenntnissen aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, dass Schulbücher wesentlich zu Rassenhass und Kriegstreiberei beigetragen haben. Ein Ziel des neuen Instituts ist die Veranstaltung internationaler Schulbuchkonferenzen, die bereits im ersten Jahr zu deutsch-französischen und 1975 zu deutsch-polnischen Empfehlungen führen. Eckerts Arbeit trägt so maßgeblich zur Versöhnung zwischen ehemals verfeindeten Staaten bei. Das von ihm gegründete Institut trägt heute seinen Namen.

Bildungsarbeit als Garant für Demokratie
Nach seiner Ernennung zum Professor an der „Pädagogischen Hochschule“ in Braunschweig widmet sich Georg Eckert ab 1952 verstärkt der Sozialgeschichtsforschung und versucht, an die Traditionen von Carl Grünbergs „Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung“ und an Max Horkheimers „Zeitschrift für Sozialforschung“ anzuknüpfen. Dieses Bemühen findet 1961 seine bis heute sichtbare Konsequenz in der Gründung des von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Jahrbuchs „Archiv für Sozialgeschichte“. Damit soll „der bedrohlichen Verfälschung der geistigen Vorgänge im Leben der deutschen Arbeiterschaft entgegengewirkt werden, die heute mit erheblichem Aufwand in den unter Sowjeteinfluss stehenden Deutschlands betrieben wird“, schreibt Eckert im Vorwort zur ersten Ausgabe.

Parteipolitisch macht Georg Eckert 1954 auf sich aufmerksam, als er am 31. Oktober in Nachfolge des verstorbenen Gustav Dahrendorf zum Vorsitzenden der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft gewählt wird. In den folgenden Jahren wird Georg Eckert zum einem der führenden Reformer der SPD, gehört den Ausschüssen für Kulturpolitik und Sicherheitsfragen an und wird Mitglied der Kommission zur Vorbereitung des Godesberger Programms.

Trotz vielfältiger Belastungen in Lehre und Forschung und bei der Redaktion des „Archiv für Sozialgeschichte“, die er bis 1969 alleine ausübt, übernimmt der gesundheitlich angeschlagene Georg Eckert 1964 die Präsidentschaft der deutschen UNESCO-Kommission, getrieben von der Erkenntnis, dass Völkerverständigung, Kulturpolitik und demokratische Verhältnisse nicht ohne solide politische Bildungsarbeit denkbar sind. Bei dieser Arbeit stirbt der rastlose Georg Eckert am 7. Januar 1974 während einer Vorlesung über die Geschichte der Arbeiterbewegung.

 

100 Jahre Georg Eckert. Einladung
KonferenzDie Institutionen, die Georg Eckert durch seine Arbeit aktiv mitgestaltet hat, widmen ihm anlässlich seines 100. Geburtstages eine wissenschaftliche Konferenz. Sie beschäftigt sich mit seinem Leben und Wirken als Historiker, als Bildungsreformer und Diplomat.

Die Konferenz „Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik: Georg Eckert (1912-1974) findet statt am 19. und 20. Oktober 2012 im Haus der Wissenschaft, Pockelstraße 11, Braunschweig.

Weitere Informationen unter Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung
Celler Str. 3, 38114 Braunschweig. Tel. +49 (0)531 123103-269 / sammler@gei.de, www.gei.de

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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