Geschichte

Der lange Schatten der Zwangsvereinigung

von Die Redaktion · 3. Mai 2006
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Im Jahre 1949 hatte sich Brandt wieder einmal gegen die Diffamierung zur Wehr setzen müssen, er sei in Wahrheit ein verkappter Kommunist. Kurz vor seiner Wahl zum Bundestagsabgeordneten erläuterte er deshalb seine Haltung zur KPD im Jahre 1945: "Politisch entscheidend ist die Tatsache, dass ich in der Emigration und noch bis nach Kriegsende geglaubt habe, es gebe Möglichkeiten eines partiellen Zusammenwirkens oder gar eines organisatorischen Zusammenschlusses mit den Kommunisten. Diese Auffassung teilte ich mit einer Reihe guter Sozialdemokraten. ... Inzwischen haben wir alle, die zum Lernen imstande sind, etwas dazugelernt."

Diese "Einheitseuphorie", von der Brandt gesprochen hatte, war schon im Herbst 1945 fast überall in den Besatzungszonen verflogen. Spätestens im Frühjahr 1946 hatten die meisten Sozialdemokraten, vor allem in der sowjetischen Besatzungszone, aufgrund ihrer Erfahrungen im Umgang mit Kommunisten "dazu gelernt". Die freilich nur in den Westsektoren Berlins im März 1946 erfolgte Urabstimmung gab einen deutlichen Hinweis darauf, wie die Mehrheit der Sozialdemokraten in der ganzen SBZ inzwischen über eine Verschmelzung mit der KPD dachte: Über 82 Prozent waren gegen eine sofortige Vereinigung. Die SPD behauptete sich damit in ganz Berlin bis 1961 als selbstständige Partei.

Anders in der sowjetischen Besatzungszone: Ostern 1946, am 21./22. April, kamen im Berliner Admiralspalast über 1000 Delegierte aus beiden Parteien zusammen, um die Vereinigung zu vollziehen. Nachdem Otto Grotewohl (für die SPD) und Wilhelm Pieck (für die KPD) sich auf offener Bühne symbolträchtig die Hände gereicht hatten, sah Grotewohl in seiner Begrüßungsrede "30 Jahre Bruderkampf ... in diesem Augenblick zu Ende" gehen. Der alte Sozialdemokrat Schöpflin forderte alle Mitglieder der Einheitspartei auf, von nun an "in sauberer Kameradschaft miteinander und füreinander" zu kämpfen. Nicht wenige Sozialdemokraten meinten, dass diese "saubere Kameradschaft" möglich sei. Davon aber konnte von Anfang an von Seiten der Kommunisten keine Rede sein.

Schon vor dem April 1946 waren in allen Ländern der sowjetischen Besatzungszone viele einheitsunwillige Sozialdemokraten verhaftet worden. Der Druck steigerte sich in einem Ausmaß, dass die schließlich vollzogene Verschmelzung zu Recht schon bald eine "Zwangsvereinigung" genannt wurde. Das Jahr 1946 aber war nur ein Vorspiel dafür, was in den Jahren danach an Zwang und Verfolgung von Sozialdemokraten in der SED folgte. Die stalinisierte Partei hatte nun vor allem den Kampf gegen den "Sozialdemokratismus als opportunistischer Ideologie" auf ihre Fahne geschrieben. Sozialdemokraten bildeten die größte Gruppe der von sowjetischen Militärtribunalen zwischen 1945 und 1953 Verurteilten. Sie erhielten meist 25 Jahre Arbeitslager oder wurden zum Tode verurteilt. Tausende früherer Sozialdemokraten wurden in den frühen 50er Jahren aus der SED ausgeschlossen. Andere verließen resigniert die Partei und meist auch die DDR. Im März 1954 waren seit 1946 über 280 000 Sozialdemokraten aus der SED hinausgesäubert worden.

Stellvertretend für viele sei an das Schicksal von Paul Szillat erinnert. Dieser trat aufgrund seiner Erfahrungen in der Nazizeit für die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ein. Schon bald aber kritisierte er, seit 1945 Oberbürgermeister von Rathenow, die stalinistischen Praktiken in der SED. Ende 1950 wurde er wegen "umfangreicher politischer Schädlingsarbeit, Agenten- und Sabotagearbeit" zusammen mit zehn Gesinnungsgenossen verhaftet und zu einer langen Zuchthausstrafe verurteilt.

Das Schicksal von Szillat gibt zugleich auch Auskunft auf die nach 1989 häufig gestellte Frage, wo denn die sozialdemokratischen Hochburgen der SPD, wie z.B. Rathenow, in der DDR geblieben seien. Nach fast 45 Jahren Verfolgungen, Schikanen und Ausgrenzungen von Sozialdemokraten konnte von Hochburgen schon lange nicht mehr die Rede sein. Der "kurze Traum von einer sozialdemokratischen Renaissance" in der DDR (Franz Walter) war deshalb schnell ausgeträumt. Die SPD musste 1990, anders als die Blockparteien CDU und LDPD (FDP), fast bei Null anfangen. Die "Zwangsvereinigung" im Jahre 1946 hat einen bis heute sichtbaren langen Schatten geworfen.

Von Siegfried Heimann

Quelle: vorwärts 4/2005

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