Geschichte

Der Krisenmanager: Friedrich Ebert

von Carl-Friedrich Höck · 14. August 2014
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Wie erlebten Sozialdemokraten den Ersten Weltkrieg? Teil 4 der Serie: Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert versucht, die Spaltung seiner Partei zu verhindern. Er scheitert nicht nur an den linken Abweichlern. 

Die Sitzung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am 3. August 1914 wird für die SPD zur Schicksalsstunde. Mit 78 zu 14 Stimmen fällt die Entscheidung, den Kriegskrediten zuzustimmen. Damit verlässt die Partei ihre bisherige pazifistische Linie und bekennt sich zur Landesverteidigung im Krieg. Und Friedrich Ebert, der Parteivorsitzende? Er ist nicht dabei.

Ebert weilt Ende Juli gerade mit seiner Familie im Urlaub auf Rügen, als er von der Julikrise überrascht wird, die den Krieg ankündigt. Er eilt zurück nach Berlin. Und ihm schwant, dass da eine schwere Zeit für seine Partei hereinbrechen wird. „In unserem Parteiinnern wird´s wohl Schwierigkeiten geben“, schreibt er an den Parteivorstand. „Krieg und die mächtige Arbeiterbewegung in Russland werden die Rosa-Gruppe doch mit neuen Plänen erfüllen.“ Er meint die Genossinnen und Genossen um Rosa Luxemburg.

Mission in der Schweiz

In Berlin angekommen, wird Ebert vom Parteivorstand auf eine Mission geschickt: Gemeinsam mit Otto Braun und mit der Parteikasse im Gepäck soll er in die Schweiz fahren, um dort den Grundstein für eine Exilorganisation zu legen. Die Sozialdemokraten wissen, dass sie von den herrschenden Eliten als „vaterlandslose Gesellen“ betrachtet werden und rechnen mit Repressionen, falls ein Krieg ausbricht. In Zürich angekommen, verwerfen Ebert und Braun ihre Pläne schnell wieder. Die Stadt erscheint ihnen ungeeignet für ein solches Projekt. Stattdessen tritt Ebert am 2. August die Rückreise an – und trifft erst am Nachmittag des 4. August in Berlin ein.

Doch die Entscheidung der Reichstagsfraktion zugunsten der Kriegskredite ist durchaus in Eberts Sinne. Er ist geprägt durch seine Zeit in Bremen, wo er als junger Mann ein Gasthaus betrieb, in dem ihm die Arbeiter der Stadt ihre Nöte anvertrauten. Praktische Verbesserungen ihrer Lebensumstände durch Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen, durch Wahlen und Kompromisse sind mehr wert als klassenkämpferische Utopien, glaubt Ebert. Und so sieht er den Krieg auch als Chance, den bürgerlichen Parteien und dem Kaiser Zugeständnisse abzuringen. Wenn die SPD sich hinter die Nation stellt, glaubt Ebert, werde sie mit demokratischen Reformen belohnt. Zum Beispiel mit der Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts, das die SPD-Klientel benachteiligt.

Rückblickend ist diese Hoffnung naiv. Konkrete Reformzusagen hat die SPD jedenfalls nie erhalten. Doch noch etwas anderes bewegt Ebert und große Teile der Partei: Auch wenn die Sozialdemokraten ahnen, dass der deutsche Kaiser mehr zum Kriegsausbruch beigetragen hat, als dieser offiziell verkündet, wollen sie die Verteidigung ihres Landes nicht sabotieren.

Zwei Söhne fallen

Die Konsequenzen dieser Haltung zieht Ebert auch im Privaten. 1917 fallen zwei seiner vier Söhne an der Front. Ein weiterer ist bereits verwundet. Einen Antrag auf Frontbefreiung für diesen Sohn stellt die Familie Ebert nicht. Sie will nicht anders behandelt werden als andere.

Ebert steht also auf der Seite der Parteimehrheit. Aber er will unbedingt verhindern, dass die Parteilinke sich im Krieg abspaltet. Denn nur eine starke und einige Partei kann politisch etwas erreichen, ist er überzeugt. Doch Schritt für Schritt eskaliert der Konflikt.

Im August 1914 halten sich die Kriegskredit-Gegner um den Fraktionsvorsitzenden und Co-Parteichef Hugo Haase noch an die Sitte, dass die Fraktion im Reichstag stets geschlossen abstimmt. Bei einer weiteren Abstimmung im Dezember 1914 gibt es mit Karl Liebknecht einen ersten Abweichler. Teile der Parteirechten drängen nun darauf, Liebknecht und seine Anhänger wegen dieses „Disziplinbruchs“ aus der Fraktion auszuschließen. Ebert verhindert das.

Im Dezember 1915 wird wieder über Kriegskredite abgestimmt. Und die Schar der Gegner ist gewachsen. In einer Fraktionssitzung beantragt die Minderheit, ihre abweichende Position im Reichstag darlegen zu dürfen. Die Fraktionsmehrheit lehnt das Begehren ab. Trotzdem gibt Hugo Haase anschließend im Reichstag eine Sondererklärung gegen die Kriegspolitik der Regierung ab und stimmt mit 19 weiteren Abweichlern gegen die Kredite.

Der Bruch

Die Parteirechte tobt. Wieder muss Ebert dagegen anreden, dass die Rebellen aus der Fraktion geworfen werden. Haase legt den Fraktionsvorsitz nieder, Ebert übernimmt den Posten. Das Wahlergebnis zeigt aber, dass er mittlerweile zwischen allen Stühlen sitzt: Von 111 Abgeordneten stimmen nur 86 mit. Ebert erhält 56 Stimmen.

Der endgültige Bruch folgt drei Monate später. Wieder spricht sich die Fraktionsminderheit um Haase im Reichstag offen gegen einen Kriegsnotetat aus, dem die Mehrheit zustimmen will. Jetzt ist auch für Ebert das Fass übergelaufen. Über eine „ganz unerhörte Treulosigkeit“ schimpft er, die „jedes Gefühl der Kameradschaftlichkeit vermissen lässt“. Haase und seine Mitstreiter werden aus der Fraktion ausgeschlossen und gründen die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“ (SAG).

Dennoch hält Ebert an der Hoffnung fest, die Partei zusammenhalten zu können. „Die schlimmste Schädigung der Arbeiterbewegung würde es sein, wenn sie am Ende des Kriegs uneinig dastände“, betont er noch im Sommer 1916. Im Januar 1917 werden die SAG-Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen. Im darauffolgenden April gründen sie die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD). 

Bündnispolitik statt Fundamentalopposition

Und die Parteimehrheit? Sie sucht das Bündnis mit dem Zentrum, der Fortschrittspartei und dem linken Flügel der Nationalliberalen. Gemeinsam stellen sie eine Mehrheit im Reichstag, und gemeinsam verabschieden sie im Juli 1917 eine Friedensresolution, in der sie einen Verständigungsfrieden ohne Eroberungen fordern. Der Kaiser und vor allem die Oberste Heeresleitung zeigen sich davon allerdings unberührt. Und auch sonst zweifelt Ebert mehr und mehr an seinen Hoffnungen zu Kriegsbeginn. „Wozu die großen Opfer, wenn die Regierung nicht gewillt ist, uns das Notwendigste, Unentbehrlichste: die politische Gleichberechtigung zu gewähren?“, fragt er in einer Sitzung des Hauptausschusses des Reichstages. Der Hinweis auf den Burgfrieden sei zum Gespött aller geworden.

Dass sich die Hoffnungen auf mehr Demokratie doch noch erfüllen, liegt daran, dass Deutschland den Krieg verliert. 1918 führt Ebert die Mehrheits-SPD auf einen klaren Kurs. Zwar bemüht er sich weiterhin um die Einheit der Arbeiterklasse, doch vertieft er vor allem das Bündnis mit dem Zentrum und den Liberalen, um die Demokratie von Weimar aufzubauen. Parlamentarische Demokratie statt Revolution lautet der Weg, den Ebert einschlägt.

1922 schließt sich die Mehrheit der USPD wieder der SPD an, der Streit um den Krieg ist beendet. Die Einheit der Sozialdemokratie ist wieder hergestellt, wenn auch nicht die der Arbeiterbewegung. Denn die Kommunisten bleiben auch künftig auf Distanz zur SPD.

Mehr:
Teil 1: Ernst Reuter - der Revolutionshelfer
Teil 2: Käthe Kollwitz - die Trauernde
Teil 3: Kurt Schumacher - der Versehrte

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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