Der braune Schatten der Vergangenheit
Aus Münchens antisemitischen und rechtsextremen Kreisen ging nach dem Ersten Weltkrieg die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hervor, deren Leitfigur Adolf Hitler wurde. Im Zuge der Machtübernahme 1933 spielte die Stadt eine Vorreiterrolle bei der Errichtung der Gewaltherrschaft der Nazis. Im nahe gelegenen Dachau entstand eines der ersten Konzentrationslager, das zum Modell für das reichsweite Lagersystem wurde. Die ehemalige „Hauptstadt der Bewegung“ war bis 1945 das Zentrum des Parteiapparats.
Der Ort, der symbolisch für den Aufstieg der NSDAP und ihren totalen Machtanspruch steht, ist heute demokratisch besetzt. Genau an der Stelle, wo sich mit dem „Braunen Haus“ die Parteizentrale der NSDAP befand, wird seit Mai an die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur erinnert und sich mit ihren Ursachen, Ausprägungen und Folgen bis in die Gegenwart auseinandergesetzt. Mit seinen rund 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist das NS-Dokumentationszentrum München an der Brienner Straße weit mehr als ein Museum, das ausschließlich eine längst vergangene Zeit in den Fokus nimmt.
Mehr als 100 000 Besucher in den ersten Monaten
Als Lern- und Erinnerungsort ist ein lebendiges Haus der Information und Diskussion entstanden, das Wissen vermittelt und die Besucher mit seinem gegenwartsbezogenen Ansatz zugleich eindringlich selbst zu einer persönlichen Auseinandersetzung einlädt. Die Dauerausstellung, die seit ihrer Publikumsöffnung bereits mehr als 100 000 Menschen besucht haben, umfasst Fotografien, Dokumente und Texte sowie Filmprojektionen und Medienstationen. Biografien beleuchten die Motive und Handlungsspielräume von Tätern und Opfern, Mitläufern und Widerständigen.
Auch die baulichen Relikte aus der NS-Zeit sind selbst Teil der Dokumentation: Immer wieder ermöglicht die Architektur des weißen Kubus, der einen störenden Akzent in der klassizistischen Ordnung Münchens rund um den Königsplatz darstellt, den Blick auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. „Unser Ziel ist es, dass die Menschen am Ende des Besuchs nicht die Tür hinter sich schließen und für sie damit die Auseinandersetzung erledigt ist“, sagt Winfried Nerdinger, der Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums. „Vielmehr wollen wir klar machen, dass uns die Geschichte lehrt, dass die Demokratie täglich gelebt und verteidigt werden muss.“
Wegschauen, Zusehen und Mitmachen der Bevölkerung
Dies geschieht im unter seiner Leitung konzipierten und erarbeiteten Ausstellungs- und Informationsangebot auf sehr eindrückliche Art und Weise. „Was hat das mit mir zu tun? Was geht mich das heute noch an?“ – mit diesen Leitfragen wird der Besucher in den 33 großen Themenbereichen, die vom Ursprung und Aufstieg der NS-Bewegung über München im Krieg bis zur Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der Gegenwart reichen, immer wieder aufs Neue konfrontiert. Der Fokus liegt dabei stets auf München.
Ausdrucksstarke Bilder, die nichts beschönigen und emotional berühren, bilden jeweils den Auftakt zahlreicher Vertiefungsmöglichkeiten. „In unserer Ausstellung wollen wir den Blick nicht davor verschließen, dass nur durch ein Wegschauen, Zusehen und Mitmachen eines großen Teils der Bevölkerung Münchens ein solch menschenverachtendes System überhaupt hat entstehen können“, sagt Winfried Nerdinger. Er setzte sich bereits in den 80er Jahren als einer der Hauptinitiatoren mit großem Engagement für die Errichtung eines NS-Dokumentationszentrums in München ein.
Von der NS-Zeit bis zu Pegida
Ein Grund, weshalb Architekt und Kunsthistoriker Winfried Nerdinger die Ausstellung, die von vier Wissenschaftlichen Mitarbeitern kontinuierlich ergänzt und erweitert wird, keinesfalls mit dem Ende der NS-Herrschaft beschließen wollte. Wie präsent das Fortleben und Wiedererstarken diese Ideologie bis heute ist, zeigt die Ausstellung nicht nur in ihrer Auseinandersetzung mit dem Oktoberfestattentat 1980 oder der Pegida-Bewegung unserer Tage.
„Rassistische Parolen an Asylbewerberheim“, „Grillen mit Hakenkreuz“ – mit solchen Schlagzeilen von rassistischen oder rechtsextremen Vorfällen, die oft erst wenige Tage zurückliegen, werden die Besucher schließlich endgültig zurück in die „Weltoffenheit“ entlassen. Käme man am nächsten Tag wieder, könnte man auf den Bildschirmen meist schon wieder neue Schlagzeilen von Übergriffen auf Asylbewerber oder rechter Hetze lesen.
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