Geschichte

Das Spiel mit den Mauerschützen

von Bernhard Spring · 1. Oktober 2010
placeholder

Das Konzept ist denkbar einfach: Bis zu 16 Spieler können sich gleichzeitig an einer virtuellen DDR-Grenze tummeln, mal als Soldaten mit Schießbefehl, mal als todesmutige Flüchtlinge. Wer erschossen wird, ist game over und kann es noch mal versuchen. Wer jedoch "erfolgreich" einen wehrlosen Flüchtling zur Strecke gebracht hat, wird zunächst ausgezeichnet, später aber in einem Mauerschützenprozess angeklagt und so für einige Zeit aus dem Spiel gezogen. Eine andere Form von game over also. Diese aber soll pädagogisch wirken. So hofft Spielerfinder Stober, dass nach dem ersten Rumgeballer das Nachdenken bei dem Spieler überwiegt. Immerhin bietet das Spiel ja auch die Möglichkeit, sich über die Folgen von gescheiterten Fluchtversuchen für die Betroffenen zu informieren und so Verständnis und Mitgefühl zu entwickeln.

DDR-Flüchtling oder NVA-Soldat?
Ziel ist es nach Stober, sich selbst zu hinterfragen. "Man kann zu dem Schluss kommen: Ich schieße nicht auf meine eigenen Landsleute. Und wenn es dann auch nur bei einem Klick macht und er ins Nachdenken kommt - dann habe ich schon etwas erreicht." Das Spiel kann dann nämlich auch anders bestritten werden: Der Teilnehmer in der Rolle des Grenzsoldaten vermag, mit den Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen gemeinsam die Grenzanlage zu überwinden. Am Ende steht also die große Verbrüderung! ...

Könnte man meinen! Dieses heikle Thema findet jedoch kaum Anhänger, sondern provoziert bereits vor seiner Veröffentlichung eine breite Front der Entrüstung, die sich quer durch die Medien- und Parteienlandschaft zieht. Zu makaber erscheint der Umgang mit der jüngsten Vergangenheit, zu banalisierend wird die brutale Wirklichkeit des DDR-Grenzstreifens als Spiel dargestellt. Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hat inzwischen sogar schon bei der Berliner Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Stober erstattet. Der Vorwurf: Gewaltverherrlichung.

In Karlsruhe herrscht darüber bedeckte Verwunderung. Unverständlich erscheint, dass dieses Spiel negativ aufgefasst oder dessen Erscheinungsdatum - ausgerechnet der Tag der deutschen Einheit! - als unpassend empfunden werden könnte. Trotz aller Proteste hält die Hochschule an dem Spiel ihres Studenten fest, will jedoch die Veröffentlichung verschieben und diese dann mit einer Diskussionsveranstaltung begleiten. Mit welchen Worten sich jedoch ein Nachspielen von Erschießungen wie die von Peter Fechter, der am 17. August 1962 stundenlang im Grenzstreifen an den Folgen seiner Schussverletzung verblutete, verharmlosen lässt, ließ die Hochschule bislang nicht verlauten.

Gegendarstellung der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe: 1) In dem Computerspiel "1378km" unseres Studenten Jens M. Stober kann man weder die Erschießungen von Peter Fechter noch die eines anderen realen Opfers der innerdeutschen Grenze nachspielen.

2) Wir distanzieren uns mit allem Nachdruck und in aller Form von Ihrer Formulierung "Mit welchen Worten sich ein Nachspielen von Erschießungen verharmlosen lässt, ließ die Hochschule bislang nicht verlauten", da von unserer Seite die von Ihnen unterstellte Verharmlosung nicht erfolgte und auch nicht beabsichtigt ist. Eine Stellungnahme des Rektorats der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe zum Computerspiel "1378(km)" finden Sie unter www.hfg-karlsruhe.de

Schlagwörter
Autor*in
Bernhard Spring

erhielt 2008 den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt, 2011 erschien sein erster Roman, „Folgen einer Landpartie“.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare