Das Erfolgsmodell Rentenversicherung feiert Geburtstag
Reichskanzler Otto von Bismarck hat sich nicht um die bitterarmen, durch 60-Stunden-Wochen erschöpften Arbeiter geschert. Das „Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung“, dessen 125. Geburtstag am 2. Dezember im Berliner Abgeordnetenhaus gefeiert wird, sollte befriedend wirken und den trotz aller Verbotsgesetze erstarkenden Sozialisten das Wasser abgraben. Was Bismarck nicht ahnen konnte: Das weltweit erste Rentengesetz, finanziert aus Beiträgen der Arbeiter und Unternehmen und Zuschüssen des Staates, wurde zu einem sensationellen Erfolgsmodell. Und den Sozialisten hat es entgegen der Bismarckschen Hoffnung auch nicht geschadet.
Kritiker, die noch vor wenigen Jahren die gesetzliche Rente für ein Auslaufmodell hielten und auf private, staatlich subventionierte Vorsorge setzten, sind bemerkenswert still geworden. Die Rentenversicherung hat sich während der finanziellen, durch die Bankenkrise ausgelösten Turbulenzen bemerkenswert gut gehalten. Das liegt am Umlagesystem, denn die Beitragszahler von heute finanzieren mit ihren Beiträgen die Rentner von heute. Es gibt keinen großen Kapitalberg, der durch Inflationen oder Spekulanten vernichtet oder gefährlich reduziert werden kann. Trotz aller demographischen Probleme scheint sie zukunftsfester zu sein als die privaten Vorsorgemodelle.
Für die Würde im Alter
Angefangen hatte vor 125 Jahren alles höchst bescheiden. Die Rente war keineswegs in der Lage, den Lebensunterhalt im Alter zu sichern. Sie war eher ein Taschengeld, das alten und kranken Menschen ein wenig Würde gab und ihre Abhängigkeit von der Familie oder der Armenfürsorge etwas reduzierte. Die Hürden waren hoch: Rente wurde erst ab dem vollendeten 70. Lebensjahr gezahlt. Kaum ein Arbeiter erreichte das gesetzliche Rentenalter und selbst dann bezog er im Durchschnitt vor seinem Tod nur zwei Jahre lang Rente. Das Jahreseinkommen eines Arbeiters lag damals zwischen 550 und 900 Mark. Die Rente stand im Durchschnitt bei 162 Mark im Jahr. Der Rentenbeitrag, den sich Arbeiter und Unternehmen teilten, lag bei durchschnittlich 1,7 Prozent vom Lohn – heute sind es 18,9 Prozent.
Bis zum Jahre 1957 war die gesetzliche Rente lediglich ein Zubrot im Alter und keine Lohnersatzleistung. Damals beschloss der Bundestag mit breiter politischer Mehrheit eine deutliche Erhöhung der Leistungen und eine Dynamisierung der Renten durch Anpassung an die Lohnentwicklung. Stiegen die Löhne, stieg auch die Rente. Krisenfest wurde das Gesetz durch die Umstellung auf das bis heute gültige Umlageverfahren. Arbeiter und Angestellte wurden gleichgestellt.
Stabilität in Zeiten der Krise
Trotz zeitweise hoher Arbeitslosigkeit bewährte sich dieses System. Heute ist es gefährdet durch niedrige Löhne und weniger Erwerbstätige bei steigender Lebenserwartung. Dadurch sinken die Renten und staatlich subventionierte Privatvorsorge soll einen Ausgleich bieten. Doch Menschen mit niedrigen Einkommen haben kaum Möglichkeiten, Geld auf die Seite zu legen. Sie werden im Alter ohne zusätzliche staatliche Hilfen nicht über die Runden kommen. Dennoch hat gerade wieder die Weltwirtschaftskrise gezeigt, dass die gesetzliche Rente erstaunlich stabil ist und Kapitalvernichtung verhindert.
Viel ist in diesen 125 Jahren zugunsten der Rentner geschehen – Witwen- und Waisenrenten wurden eingeführt, die Altersgrenze wurde zuerst für Angestellte und dann auch für Arbeiter auf 65 Jahre abgesenkt. Bei der Währungsreform 1948 hat man die Renten eins zu eins auf Deutsche Mark umgestellt, während die Sparguthaben zu 90 Prozent verloren gingen. Es gab flexible Altersgrenzen und Kindererziehungszeiten steigerten die Rente. Nach dem Fall der Mauer wurden Millionen DDR-Rentner in das bundesdeutsche System integriert. Die DDR-Renten wurden ohne Abzug auf Deutsche Mark umgestellt und zweimal kräftig erhöht – eine enorme Leistung, die ohne das Umlagensystem wohl nicht möglich gewesen wäre. Das Rentenalter wurde trotz heftiger Proteste angesichts der immer höheren Lebenserwartung stufenweise auf 67 Jahre heraufgesetzt.
„Nicht sexy, aber robust“
Zur Zeit hat die Rentenversicherung Rücklagen von mehr als 30 Milliarden Euro. Der Beitragssatz ist mit 18,9 Prozent relativ niedrig. Trotz aller Probleme gilt, was die „Stuttgarter Zeitung“ in einem Geburtstagsartikel über das Rentensystem schrieb: „Nicht sexy, aber robust.“
(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.