Geschichte

Das Ende der Teilung Deutschlands begann in Polen

In diesem Jahr feiern wir dreißig Jahre deutsche Einheit. Diese glückliche Lösung der deutschen Frage verführt leider häufig dazu, eine nationale Perspektive einzunehmen. Dabei war die deutsche Frage stets eine europäische.
von Jan Claas Behrends · 4. Juni 2020
Solidarnosc-Solidaritätskundgebung im Dezember 1982 in Brüssel: Die Friedlichen Revolutionen 1989 führten zur Einheit Deutschlands und Europas.
Solidarnosc-Solidaritätskundgebung im Dezember 1982 in Brüssel: Die Friedlichen Revolutionen 1989 führten zur Einheit Deutschlands und Europas.

Das Ende eines deutschen Nationalstaates war eine direkte Folge der nationalsozialistischen Diktatur. Terror, Angriffskrieg und Völkermord führten in die Niederlage. Doch bereits 1945 war das weitere Schicksal Deutschland mit den politischen Entscheidungen in Europa verknüpft. Die Teilung des Kontinents, die in der Konferenz von Jalta besiegelt wurde, führte auch zur deutschen Teilung. Der gesamte Osten des Kontinents und damit auch Ostdeutschland geriet unter sowjetische Hegemonie. Die Westverschiebung Polens auf Druck Stalins bedeutete den Verlust der Ostgebiete. In Folge des Zweiten Weltkrieges blieb die Souveränität der Staaten Osteuropas – und auch der DDR – eng begrenzt. Es gab kein Zurück zu einem Europa freier Völker, das Woodrow Wilson nach 1918 propagiert hatte.

Der Wandel durch Annäherung blieb begrenzt

Ziel bundesdeutscher Politik war es seit 1949, die Souveränität Deutschlands und seine Einheit in Frieden und Freiheit wiederherzustellen. Zwei große Entscheidungen dienten diesem Ziel: die Westbindung unter Konrad Adenauer, die Einbindung der Bundesrepublik in europäische und transatlantische Strukturen, sowie die Ostpolitik Willy Brandts, die Anerkennung der Nachkriegsgrenzen. Doch in den 1970er und frühen 1980er Jahren erwies sich die Ordnung von Jalta als hartleibig: Trotz der Entspannungspolitik blieb der politische Wandel durch Annäherung begrenzt. Eine Hälfte Europas lebte weiterhin in kommunistischen Diktaturen.

Seit den späten 1960er Jahren forderten die Dissidenten in der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei und später auch in der DDR politische Veränderungen und die Einhaltung der Menschenrechte. Diese oppositionellen Impulse zeigten, dass auch hinter dem Eisernen Vorhang die Sehnsucht nach friedlichen Veränderungen stark war. In Polen gelang es der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność seit 1979 sich als soziale Bewegung mit Millionen von Mitgliedern zu etablieren. Doch im Dezember 1981 rollten noch einmal Panzer auf den Straßen der polnischen Städte. Die Einführung des Kriegsrechts beendete den Protest, der von Arbeitern, Kirche und Intelligenzija getragen wurde. Dennoch zeigte sich schon jetzt: die kommunistischen Regime hatten ihre Zukunft hinter sich.

In Europa endete die Diktatur, in Asien nicht

Der entscheidende Impuls zur Überwindung der Spaltung Europas kam aus Moskau. Michail Gorbatschows Perestroika bedeutete nicht nur Umbau im Inneren, sondern auch den Ausgleich mit dem Westen. Paradoxerweise waren es die konservativen Hardliner Ronald Reagan und Margret Thatcher, die den ernsthaften Dialog mit dem Generealsekretär begannen. Helmut Kohl nahm erst spät den Kontakt zu Gorbatschow auf.

Das Ende der Teilung Deutschlands begann im Juni 1989 mit den freien Wahlen in Polen. Die erste demokratische Wahl seit Kriegsende zeigte, dass eine andere Politik möglich war. Doch der Juni 1989 bildete nur in Europa den Auftakt zu Freiheit in Frieden: zeitgleich rollten in Peking die Panzer gegen die Studierenden, die sich auch dort für eine Lockerung des Regimes einsetzten. In Europa endete die Diktatur, in Asien nicht.

Die Friedlichen Revolutionen führten zur Deutschen Einheit

Seit dem Sommer 1989 erfasste die revolutionäre Bewegung auch die DDR. Mit der Gründung der SDP entstand wieder eine sozialdemokratische Partei und auch andere Bewegungen drängten die SED zur Veränderung. Ohne Protektion aus Moskau fiel nicht nur die Diktatur der SED, sondern auch die Regime in Prag, Budapest, Bukarest und Sofia wie Kartenhäuser zusammen. Die friedlichen Revolutionen von 1989 brachten jedoch nicht nur die kommunistische Diktatur zum Einsturz. Sie ermöglichten auch die Rückkehr zum Selbstbestimmungsrecht der Völker und damit zur Einheit Deutschlands.

Die Einheit Deutschlands 1990 bedeutete das Ende von Jalta und die Rückkehr zu Wilsons Europa freier Völker – auch im Osten des Kontinents. In der Charta von Paris gestand im November 1990 die Sowjetunion explizit allen Staaten Europas die Selbstbestimmung in Freiheit zu – alle Unterzeichner verpflichteten sich zudem zur friedlichen Beilegung von Streitfällen. Seit 2014 stellt der Kreml diese europäische Friedensordnung wieder in Frage. Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sollte gelten, dass Freiheit und Selbstbestimmung ein Recht aller Europäer sind – ganz gleich ob sie in Madrid, Berlin oder Riga leben. Dafür einzutreten ist das Erbe der deutschen Einheit von 1990.

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Autor*in
Jan Claas Behrends

ist Osteuropahistoriker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschun(ZZF) in Postdam leitet dort das Forschungsnetzwer "Legacies of Communism" und unterrichtet an der Humboldt Universität zu Berlin. Er ist Mitglied des SPD-Geschichtsforums.

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