Zur Zeit der 1968er und in den Jahren kam es schon vor, dass linke Systemkritiker aufgefordert wurden, die Bundesrepublik doch bitteschön zu verlassen, wenn es ihnen hier nicht gefällt. Ganz
sicher dachte da niemand daran, dass es tatsächlich einige gab, welche die West-Republik in Richtung Osten hinter sich gelassen hatten, darunter allein 400 in West-Berlin.
Mauerspringer
Martin Schaad klärt die große Frage, weshalb jene "Mauerspringer" diesen Weg nach Ostdeutschland gegangen waren, anstatt die Grenzübergänge zu nutzen. Ihre Motive sind völlig
unterschiedlicher Natur. Manch einer wollte der bundesdeutschen Öffentlichkeit beweisen, dass die DDR gar nicht so schlimm sei. Bei anderen handelte es sich um Wetten, um die Liebe, Geldsorgen
oder schlicht Heimweh. Sie mussten verrückt gewesen sein, mag mancher denken. Und in der Tat waren neben Abenteurern und Trunkenbolden auch geistige Verwirrte, darunter.
Tragikkomik
Schaad entreißt die teils komischen, teils tragischen, aber allesamt dramatischen Schicksale dem Vergessen. Jedem einzelnen widmet er ein eigenes Kapitel, eingeleitet mit einem
stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Bild. Er beschreibt darin jeweils einen Protagonisten und dessen Entschluss, der BRD den Rücken zu kehren. Und er betrachtet die Reaktion in den ostdeutschen
Behörden. Die DDR-Verantwortlichen nämlich freuten sich nicht gerade über die "Zugezogenen". Sie sahen in deren eigenmächtiger Mauer-Überquerung eine "provokante Missachtung der Souveränität der
DDR". Schließlich ging es ihnen auf internationaler Ebene um die Anerkennung ihres Staates. Da hatten eigenwillige Grenzüberquerungen zu unterbleiben.
Anhand von Zeitungsartikeln belegt Schaad die einseitige Berichterstattung der Boulevardmedien im Westen. Ebenso veröffentlichte er eine Vielzahl von Aktenauszügen, die das abstruse
Vorgehen der Stasi und DDR-Grenztruppen widerspiegeln. Das macht das Buch lebendig und interessant. Sehr empfehlenswert für alle, die die Mauer einmal von einer ganz anderen Seite betrachtet
sehen möchten.
Martin Schaad - Dann geh doch rüber; Über die Mauer in den Osten - Ch. Links Verlag - Berlin, Juli 2009 - 208 Seiten - Preis: 16,90 Euro - ISBN: 978-3-86153-516-4
Ich studiere Kulturwissenschaften an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder) mit den Schwerpunkten Kulturgeschichte und Sozialwissenschaften. Ich lerne dort ebenfalls Englisch und Spanisch. In meiner Freizeit bin ich "ganz normal" wie andere auch: Ich spiele Fußball, gehe gerne weg oder verbringe Zeit mit meinen Freunden.