Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Mahnmal für die Opfer des jüdischen Ghetto-Aufstandes von 1943 jährt sich am 7. Dezember zum 40. Mal. Bundeskanzler Brandt legte damals, wenige Stunden vor der Unterzeichnung eines Vertrags über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen, zu Ehren der Helden des Ghettos einen Kranz nieder. Ungeachtet des üblichen Protokolls kniete er spontan nieder und verharrte einige Momente in dieser Position.
Im Visier Ewiggestriger
Diese unerwartete Geste der Demut, die als Symbol für die Aussöhnung der beiden Staaten steht, wurde international als Bitte um Vergebung für die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg
gewertet. Sie ebnete der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition den Weg. 1971 wurde Brandt dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seine historische Geste und die Entspannungspolitik
stießen in rechtsextremen und konservativen Kreisen der Bundesrepublik auf Ablehnung. Anlässlich des anstehenden Jahrestages des "Kniefalls" steht Willy Brandt erneut im Visier Ewiggestriger.
In der Dezember-Ausgabe der frei im Handel erhältlichen rechtsextremen Monatszeitschrift "Zuerst!" wird Brandt wegen seines "Warschauer Kniefalls" als "Schuld-Kanzler" bezeichnet. Seine Geste
sei ein "fatalen Signal" und habe den "bundesdeutschen Schuldkult offiziell eingeläutet". Seitdem gehöre "vorauseilender Gehorsam, freiwillige Schuld- und Unterwerfungsgesten" sowie die
"Preisgabe nationaler Interessen" zur "fragwürdigen Requisite der deutschen Politik." Vorgeworfen wird Brandt auch, dass seine "neue Ostpolitik einseitig den Interessen der kommunistischen
Staaten" gedient habe.
"Sozialdemokratischer Überzeugungstäter"
Das rechtsextreme Blatt missbraucht den Jahrestag des "Kniefalls" zu einer Generalabrechnung mit der Politik und der Person Willy Brandt. Abschätzig wird der LeserInnenschaft mitgeteilt, dass "Brandt alias Herbert Frahm 1945 in der Uniform der Alliierten ins daniederliegende Deutschland zurückgekommen war, nachdem er 1940 von der Osloer Exilregierung die norwegische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen hatte." Gift und Galle wird gespuckt gegen den "sozialdemokratischen Überzeugungstäter", der sich - welch ein Frevel - die "Erneuerung" der westdeutschen Gesellschaft vorgenommen hatte.
Rechtsextreme Zeitschrift
Das "Deutsche Nachrichtenmagazin Zuerst!" gehört zum Verlagsimperium des norddeutschen Verlegers Dietmar Munier. Er war stellvertretender schleswig-holsteinischer Landesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), JN-Kreisvorsitzender Kiel sowie Aktivist des rechtsextremen Bundes Heimattreuer Jugend (BHJ).
Zur Unternehmensgruppe des Rechtsextremisten gehören außerdem die Lesen & Schenken GmbH, der Arndt-Verlag, der Bonus-Verlag, der Orion-Heimreiter-Verlag, der Pour le-Merite-Verlag und die Deutsche Militärzeitschrift/Verlag (DMZ).
Chefredakteur der erstmals im Dezember 2009 erschienenen Zeitschrift "Zuerst!" ist Günther Deschner, der ehemalige Leiter des Kulturressorts der Tageszeitung "Die Welt". Den Vertrieb wickelt die VU Verlagsunion KG ab, ein Tochterunternehmen des Bauer Verlages.
In "Zuerst!" ist die Monatszeitschrift Nation & Europa (N&E), die bislang älteste erscheinende Zeitschrift des deutschen Rechtsextremismus aufgegangen. N&E-Gründer waren der ehemalige SS-Sturmbannführer und Chef der sogenannten Bandenbekämpfung im Führerhauptquartier, Arthur Ehrhardt, sowie der damalige SA-Obersturmführer Herbert Böhme. So ist es nicht erstaunlich, dass der ehemalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt in diesen Kreisen noch heute verhasst ist.