Geschichte

Bomben aus dem Paradies

von Charlotte Kerner · 8. Februar 2012

Die lange Hauptstraße von Cala Ratjada, an der Ostküste Mallorcas gelegen, heißt immer noch Leonor Severa. Genau wie in den 1930er Jahren, als die „Rochenbucht“ ein verträumtes pueblo war und kein moderner Ferienort, der jeden Sommer fest in der Hand junger Deutscher ist, die nachts abfeiern. Heute ist „Auf  Ex“ das Thema in den blauen Abendstunden und heißen Nächten, damals war es „das Exil“.

Cala Ratjada hatte einen guten Ruf als preiswerte Künstlerkolonie am Mittelmeer. Für viele, die wegen ihrer politischen Einstellung oder „Rasse“ aus Nazideutschland hierher flohen, war erste Anlaufstelle die Wikiki-Bar, damals ein mit Palmblättern gedecktes Haus mit wild bemalten Innenwänden und einer Holzveranda. Heute steht hier ein einstöckiger hellgrauer Betonbau, im Sommer voll gestopft mit billigen Souvenirs. Im Winter und in der Nebensaison bleibt der Laden geschlossen, die Front gleicht dann trüben Augenhöhlen, gemahnt an  dunklere Zeiten.

Das grüne Neonkreuz der benachbarten Apotheke blinkt unermüdlich, signalisiert Hilfe, wie damals der erste Wirt des Wikiki, der jüdische „Kunstgangster Jack Bilbo“. Dieser antifaschistische „Rebell aus Leidenschaft“, der 1907 als Hugo Cyrill Kulp Baruch in Berlin geboren worden war, gab seine Bar zwar schon 1933 in andere Hände, doch das Wikiki blieb Jahre lang ein Ort, an dem die Entwurzelten „den Frieden der Insel“ atmeten. Der 1889 geborene Pazifist und Autor Karl Otten, der in Berlin nur knapp den SS-Schergen entkommen war, erlebte auf Mallorca die „Ruhe des letzten Paradieses, wie die Bauern hier sagen, zu dem das Meer in sanften Sprüngen rennt und tanzt, in blaue und grüne Gewänder gehüllt“. Und Klaus Mann notierte noch im Juni 1936 bei einem Besuch in Cala Ratjada, wie „hübsch“ alles sei, und: „Nazis nicht in Sicht!“ Doch nur einen Monat später endete die friedliche Zeit.

Die Insel wird zum Jagdrevier
Am 17. Juli 1936 putschten General Francos Offiziere, der Spanische Bürgerkrieg begann, der „Inselgarten“ verwandelte sich in ein Jagdrevier, in dem einheimische und deutsche Faschisten schwarze Listen erstellten. Denunziert vom Konsul seines Landes kam Schriftsteller Otten für einige Tage in Haft, bevor das Ehepaar auf einem britischen Kriegsschiff knapp seiner Deportation nach Deutschland entging. Wer kein Visum in ein Drittland bekam, saß in der Falle. Verzweifelt nahmen sich einige das Leben, um nicht wie so viele in Francos Kerkern zu enden.

Die „wahren“ Deutschen, Mitglieder der „Legion Condor“, waren zu jener Zeit in Port de Pollenca stationiert, einem Fischerhafen im Nordosten, der sich in den 1930er Jahren zu einem besonders bei Engländern beliebten Ferienort gemausert hatte. Die Landzunge hinter dem Hotel Illa d`Or, am Ende des berühmten Pine Walks, ist bis heute militärisches Sperrgebiet. Von dort starteten die deutschen Seeflieger mit einer Flotte von gut einem Dutzend Wasserflugzeugen zu Aufklärungsflügen. Sie gehörten zu den zehntausenden deutschen Soldaten, die Hitler abgestellt hatte, um in geheimen Operationen Francos Truppen zu unterstützen.

Nicht nur über dem kleinen Hafen von Pollenca war im Frühjahr 1937 Fluglärm zu hören, sondern über der ganzen Insel. In der Nähe der Hauptstadt Palma starteten Condor-Piloten mit ihrer todbringender Fracht: Sprengbomben, Splitterbomben und Brandbomben. Ziel war eine baskische Stadt auf dem spanischen Festland, deren Name noch heute ein Symbol für die Unmenschlichkeit dieses Krieges ist: Guernica. Es war nach dem nächtlichen Luftangriff vom 26. April 1937 zu 70 Prozent zerstört.

Dreizehn deutsche Seeflieger aus Port de Pollenca starben während der Einsätze, auf einen Granitblock ließ man ihre Namen und die Worte einmeißeln: „Sie fielen für die Freiheit Spaniens und im Kampf gegen den Bolschewismus.“ Erst im Sommer 2008 erfuhr die breite Öffentlichkeit von diesem „Stein des Anstoßes“ durch Zeitungsberichte. Denn eine linke Mehrheit im Gemeinderat der Stadt Pollenca hatte beschlossen, den Gedenkstein für die Naziflieger endlich abzubauen, legitimiert durch das in Spanien im Oktober 2007 verabschiedete „Gesetz zur historischen Erinnerung“. Es verlangte, nach und nach die alten faschistischen Embleme aus der Öffentlichkeit zu entfernen oder etwa Straßen, die General Francos Namen trugen, umzubenennen. Viel zu lange hatten sich seine Getreuen – bestätigt durch die sie glorifizierenden Denkmäler – als die „wahren“ patriotischen Spanier aufspielen können, dabei waren nicht sie, sondern ihre Gegner für die 1931 rechtmäßig gewählte Demokratie eingetreten: die Republik!

Mord, Folter, Hölle
Ein gewaltiges Wortdenkmal dieser Zeit erschuf Karl Otten 1937 in seinem Londoner Exil, den Mallorca-Roman „Torquemadas Schatten“, Der Dichter taufte die faschistischen Schlächter nach dem mittelalterlichen Großinquisitor Torquemada, weil auch dieser nur eines denken konnte: „Mord, Folter, Hölle, Juden und Christen, Spanier und Moros mussten sterben, wenn sein Verdacht auf sie fiel.“ Es sollten 42 Jahre vergehen, bevor das 1938 erschienene Werk in Deutschland in der „Bibliothek der verbrannten Bücher“ einen angemessenen Platz erhielt – 17 Jahre nach dem Tod des am Ende erblindeten Sehers. In Ottens Roman heißt es am Anfang: „Hier geschieht doch nichts, und wenn etwas geschieht, geht es uns Fremde nichts an. Für uns sind Sonne, Strand und Meer da. Alles andere geht uns nichts an.“

Der Besitzer des Billigsouvenirladens in Cala Ratjada schüttelt lächelnd den Kopf: Nein, eine Tafel „hier stand die Wikiki-Bar“ gebe es nicht, aber es würden manchmal Leute wie ich danach fragen. Immerhin.


Charlotte Kerner ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie arbeitete u.a. für Die Zeit und Emma. Zweimal erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Mit ihrer Familie lebt sie in Lübeck.

Buchtipps
Karl Otten: Torquemadas Schatten, konkret literatur Verlag, Hamburg 1980
Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts, List Taschenbuch, Berlin 2005
Reinhard Andress: Der Inselgarten – Das Exil deutschsprachiger Schriftsteller auf Mallorca, 1931-1936, Editions Rodopi B.V, Amsterdam 2001
Martin Breunbinger, Germà Garciá i Boined, Mallorcas vergessene Geschichte, Vitolibri, Mallorca und Malente 2011

Autor*in
Charlotte Kerner

Charlotte Kerner ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie arbeitete u.a. für Die Zeit und Emma. Zweimal erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Mit ihrer Familie lebt sie in Lübeck.

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