Geschichte

"Bismarck würde staunen"

von Vera Rosigkeit · 14. September 2008
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Es sei "eine Bestätigung unserer Geschichte, dass dort, wo der Erfinder des Sozialistengesetzes zur Schule gegangen ist, heute ein Haus der Sozialdemokratie steht", verkündete SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks am 11. September zur offiziellen Namensgebung des Berliner Hauses Stresemannstraße 30 nach Paul-Singer.

In ihrem Rückblick auf die wechselvolle Geschichte des Hauses machte sie darauf aufmerksam, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts das unbebaute Grundstück Garten zur Plamannschen Erziehungsanstalt war. Ihr prominentester Schüler war von 1822 bis 1827 der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck. Der wird 51 Jahre später ein Gesetz "wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" durchsetzen, von dem auch Paul Singer betroffen sein wird.

Doch wer war Paul Singer?

Ein Mann, der sich neben August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Ignaz Auer und anderen um die Sozialdemokratie in hervorragender Weise verdient gemacht hat", erklärte Hans-Jochen Vogel, langjähriger Parteivorsitzender der SPD.

Vogel würdigte in seinem Grußwort den 1844 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geborenen Singer, der 1869 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei beitrat. 1875 übernahm der erfolgreiche Unternehmer Singer den Vorsitz des Berliner Asylvereins für Obdachlose in der Weddinger Wiesenstraße, 1883 wurde er Stadtverordneter, ein Jahr später Reichstagsabgeordneter. 1886 musste Singer aufgrund des Sozialistengesetzes Berlin verlassen, "weil er in einer Reichtagsrede einen Polizeiagenten entlarvt hatte, der organisierte Arbeiter zu Terroranschlägen verleiten wollte", so Vogel in seinem Rückblick. Nach Erlöschen des Bismarckschen Gesetzes wurde Singer Parteivorsitzender und blieb es bis zu seinem Tod 1911.

"Bismarck hätte sich wohl nicht träumen lassen", resümierte Vogel, "dass das Haus, das 1878 auf diesem Grundstück errichtet wurde, eines Tages ausgerechnet den Namen eines seiner striktesten politischen Gegner tragen würde. Und Singer selbst sicher auch nicht. Wenn man so will, ist das eine späte Genugtuung eben dieses Sozialdemokraten." Zur Information: Das Haus Stresemannnstraße 30 ist seit 1998 im Besitz der Konzentration GmbH. Es ist u.a. Sitz des politischen Archivs am Willy-Brandt-Haus, des SPD-Reiseservices und des vorwärts-Verlags.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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