Begeistert feierte die französische Linke am Abend des 10. Mai 1981 den Wahlsieg François Mitterrands. Seit der Rückkehr de Gaulles in die Politik 1958 war sie von der Macht ausgeschlossen.
Nun hatte sie erstmals in der V. Republik die mit viel Macht ausgestattete Position des Präsidenten der Republik erobert. Hauptursache für ihre politische Ohnmacht, die fast ein Vierteljahrhundert
(1958 bis 1981) währte, war der Zustand der französischen Linken selbst: Außer einem linksradikalen "revolutionären" Wählerpotenzial von etwa zehn Prozent verhinderte vor allem die Gegnerschaft
zwischen Sozialisten und Kommunisten die Bildung einer linken Mehrheit.
Das 1958 mit Beginn der V. Republik eingeführte Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen (1. Wahlgang absolute Mehrheit, 2. Wahlgang relative Mehrheit) garantierte der vereinten Rechten die
Mehrheit, solange die Linke gespalten blieb. Bei den Parlamentswahlen im November 1958 erhielten die Sozialisten mit 15,7 Prozent der Stimmen nur 44 Mandate von 552, die Kommunisten mit fast 20
Prozent sogar nur 10. Die entscheidenden Weichenstellungen für den Weg der französischen Linken aus der selbstverschuldeten Ohnmacht erfolgten im Juni 1969 mit der Neugründung der Parti Socialiste
(PS) und im Juni 1971 auf ihrem Parteitag in Epinay-sur-Seine: Nachdem sich schon 1969 zahlreiche linke Clubs und Gruppierungen der neuen Partei angeschlossen hatten, trat im Juni 1971 auch
Mitterrand mit seiner Gruppierung der Sozialistischen Partei bei. Am gleichen Tag wurde er zu ihrem 1. Sekretär (Vorsitzenden) gewählt.
Seine Strategie der "Linksunion" sollte die Linke einigen. Er wollte die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) bündnisfähig und die Sozialistische Partei zur führenden Kraft in der
Linksunion machen. Bisher lag die KPF bei Wahlen fast immer mehr als 10 Prozent vor den Sozialisten. Den dramatischsten Tiefststand erreichten die Sozialisten bei den Präsidentschaftswahlen im Juni
1969, als ihr Kandidat mit nur 5 Prozent weit hinter dem Kommunisten Jacques Duclos lag, der 21,27 Prozent der Stimmen erzielte.
Mitterrand entwickelte sich nicht nur zum charismatischen Führer der stärker werdenden PS, sondern auch zur Integrationsfigur der bislang zersplitterten Linken. Bereits im Mai 1974 führte
Mitterrand sie bei den Präsidentschaftswahlen nahe an den Sieg: Nur knapp unterlag er mit 49,19 Prozent Valery Giscard d'Estaing (50,80 Prozent). Bei den Parlamentswahlen im März 1978 erreichte er
sein strategisches Ziel: Mit 22,7 Prozent wurde die PS erstmals stärkste Partei der Linken vor der KPF mit nur noch 20,6 Prozent. Vor dem 2. Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am 10. Mai 1981
zogen alle anderen linken Bewerber ihre Kandidatur zugunsten von Mitterrand zurück, sodass er mit 51,76 Prozent gewählt wurde. Nach Auflösung der Nationalversammlung mit einer rechten Mehrheit
erzielten die Sozialisten bei den vorgezogenen Wahlen im Juni 1981 ihren größten Erfolg: Mit 38 Prozent gewannen sie 285 Sitze und damit die absolute Mehrheit.
Zu den wichtigsten Reformen der Linksregierung gehörten: die Abschaffung der Todesstrafe, die Nationalisierung großer Konzerne und Banken, die Dezentralisierung des zentralistischen
Staatsaufbaus, die Stärkung der Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften, die Erhöhung der Mindestlöhne, die 39-Stunden-Woche, die Reduzierung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre. Nach
einer Niederlage der Linken bei den Parlamentswahlen 1986 musste Mitterrand bis 1988 mit einer rechten Mehrheit und Regierung unter Jacques Chirac "kohabitieren". Da sein Ansehen weit über die
Anhängerschaft der Linksparteien hinausreichte, errang er bei den Wahlen für seine zweite Amtsperiode (1988 bis 1995) am 8. Mai 1988 jedoch mit 54 Prozent einen triumphalen Sieg über Chirac. Vor
allem dem charismatischen Ansehen Mitterrands war es zu verdanken, dass bei den vorgezogenen Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 1988 die Linke noch einmal für fünf Jahre eine parlamentarische
Mehrheit erhielt.
Zehn Jahre nach Ende seiner Amtszeit im Mai 1995 und nach seinem Tod im Januar 1996, ist sein Ansehen noch gestiegen: Während im Dezember 1996 schon 53 Prozent aller Franzosen die Bilanz
seiner Präsidentschaft positiv einschätzten, waren es im Dezember 2005 sogar 55 Prozent. Nach de Gaulle mit 39 Prozent halten 30 Prozent aller Franzosen (Dezember 2005) Mitterrand für den besten
Präsidenten, weit vor Chirac mit 7 Prozent. Und 63 Prozent aller Franzosen, darunter 51 Prozent der Sympathisanten der Rechten, meinen, dass "die Jahre Mitterrands" einen bedeutenden Platz in der
Geschichte einnehmen.
Von Horst Heimann
Quelle: vorwärts 5/2006
0
Kommentare
Noch keine Kommentare