Titel und Untertitel wecken Hoffnungen auf eine leidenschaftliche Streitschrift zur Lage in Ostdeutschland. Doch derlei Erwartungen werden bitter enttäuscht. Mag sein, dass es Jana Hensel, wie sie einleitend bekennt, ein persönliches Anliegen war, dem Erinnerungsmainstream - oder was die 33-Jährige dafür hält - ihre Sicht entgegenzusetzen. Der reißerische Titel verstärkt indes das Gefühl, der Verlag wolle gerade jetzt mit der "Marke Hensel" punkten, wenn nicht gar an den Hype der "Zonenkinder" anknüpfen. Dass der ostalgische Zeitgeist seit dem Erscheinen der Henselschen Erinnerungen medial abrüstet, ist ein, aber nicht der wesentliche Grund, der solche Pläne scheitern lassen wird. Lieferten die "Zonenkinder" durch die Verkettung von Belanglosigkeiten zumindest einen unaufgeregten Einblick in den DDR- und Nachwende-Alltag, so bleiben nach der Lektüre dieses von inhaltlichen und stilistischen Schwächen durchzogenen Neulings Enttäuschung, Langeweile und viele offene Fragen zurück.
Kein Erkenntnisgewinn nirgendwo
Das liegt vor allem daran, dass die in Leipzig aufgewachsene Autorin weder einen Befund noch eine Vision dazu zu bieten hat, wie sich die Gesellschaft im östlichen Teil Deutschlands bis heute
entwickelt hat oder entwickeln könnte und was das für die Bundesrepublik insgesamt bedeutet. Daher laufen ihre Reflexionen, Beobachtungen und reportageartigen Erzählungen, deren stilistische
Klammer wie gewohnt die verquaste Nöligkeit ausmacht, ins Leere. Ob sie ihre Begegnung mit Veteranen des Bergarbeiter-Hungerstreiks von Bischofferode schildert oder den einstigen Schauplatz
rassistischer Krawalle in Rostock-Lichtenhagen besucht: Der alles überragende Appell an die Ostdeutschen, sich ihrer eigenständigen oder andersartigen ("anders" als was eigentlich?) Erfahrungen
bewusst zu werden, wird durch seine Redundanz nicht mitreißender, sondern ermüdend. So bleibt selbst die Episode in der stillgelegten Kali-Mine, die so lebendig und spannend beginnt, am Ende
blass. Fatal ist die Scheu vor einer gründlichen Analyse und Positionierung beim Thema DDR-Vertragsarbeiter und Fremdenfeindlichkeit.
Mit "lächelnden" und "fleißigen" Vietnamesen, die bereits während der 1980er-Jahre Ressentiments ausgesetzt waren, bedient die Autorin landläufige Klischees. Wie sich der Ausländerhass vor
17 Jahren in Rostock gewaltsam entlud, erklärt sie mit der altbekannten Mixtur aus Perspektivlosigkeit, Werteverlust und unfähigen Behörden. Der massive Hass und die Brutalität der "Angreifer -
als Demonstranten kann man sie ja nicht bezeichnen" rücken in den Hintergrund. Wieder zeigt sich: Kein Erkenntnisgewinn nirgendwo.
Zugegeben: Es sind seltener tiefschürfende Diagnosen, als vielmehr pointierte Sichtweisen, die einen gesellschaftlichen Diskurs in Gang setzen. Auch in dieser Hinsicht hat Jana Hensel
nichts zu bieten. Sie begnügt sich damit, die "Andersartigkeit" jener Menschen, die sie landsmannsschaftlich vereinnahmt, wie ein Götzenbild vor sich her zu tragen. Doch wer würde ernsthaft von
einer übertriebenen Angepasstheit der Ostdeutschen ausgehen? Das wohl prominenteste Beispiel für die gesellschaftspolitischen Charakteristika zwischen Rügen und Suhl ist nicht zuletzt das
Wahlverhalten, das immer wieder durch einen vergleichsweise hohen Anteil an Wählern rechtsextremer Parteien oder an Nichtwählern Aufsehen erregt. Es sind aber auch das flächendeckende System von
Kindertagesstätten und eine höherer Anteil an erwerbstätigen Frauen, die die Ostdeutschen als Erfahrungsschatz mit in die Einheit brachten und damit bis heute zur Modernisierung der
Bundesrepublik beitragen.
Von all dem liest man bei Jana Hensel nichts. Stattdessen beschwört sie wieder und wieder die Überwindung des Verlierer-Images der Ostdeutschen, die bis heute unter der "unübersichtlichen
Welt" leiden, die vor 20 Jahren über sie hineinbrach. In ihrer Einseitigkeit ist es jedoch die Autorin, die eine von vielen Umbrüchen, aber auch Aufbrüchen geprägte Region rhetorisch ins Abseits
befördert.
Nur selten können ihre Reflexionen den Leser für sich einnehmen, wenn auch anders als gedacht. An einer Stelle heißt es: "Mein Leben ist zu einer Geraden geworden, die scheinbar endlos und
ohne Ziel und oft auch ohne Sinn vor sich hin läuft." Genauso lässt sich der Geist dieses Buches umschreiben, das einen Vorzug hat: Angesichts seiner fehlenden Substanz kann es dem inneren
Frieden der Bundesrepublik kaum gefährlich werden.
Jana Hensel: Achtung Zone. Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten, Piper 2009, ISBN: 3492053653 / 978-3492053655, 14,95 Euro
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