Geschichte

Aus dem Osten viel Neues

Vor 20 Jahren tagte das „Forum Ostdeutschland“ der SPD zum ersten Mal. Seitdem hat es sich zu einem wichtigen Sprachrohr ostdeutscher Interessen innerhalb und außerhalb der Partei entwickelt. Dabei war die Ausgangslage alles andere als leicht.
von Thomas Horsmann · 21. Juni 2016
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Es ist schwülheiß an diesem Samstag, dem 8. Juni 1996, in Leipzig. Das Thermometer zeigt über 30 Grad. Im Kongresszentrum auf dem neuen Messegelände, das gerade erst eröffnet wurde, haben sich etwa 600 Teilnehmer zur ersten öffentlichen Veranstaltung des „Forums Ostdeutschland“ der SPD eingefunden. Jubel brandet auf, als Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner in die Menge ruft: „Im Osten spielt die ­Musik!“ Das sind Worte, die hier gefallen. Thema der Veranstaltung, die nicht nur SPD-Mitgliedern offensteht, sondern allen Interessierten, ist „Netzwerk ­Zukunft – Für Ostdeutschland eine zweite ­Chance!“

Forum Ostdeutschland: Gegründet, um die SPD zu konsolidieren

Blick zurück. 1995 ist die Partei unter der Führung von Rudolf Scharping in einer schweren Krise. In den Umfragen liegt sie zum Jahresende nur noch bei 27 Prozent. Auf dem Mannheimer SPD-Parteitag im November wird überraschend Scharping von Oskar Lafon­taine als Parteivorsitzender abgelöst. Und Franz Müntefering wird zum Bundesgeschäftsführer gewählt. Es ist ein Zeichen des Aufbruchs. Letztlich werden hier die Weichen für den Wahlsieg 1998 gestellt.

Eine der Maßnahmen, die der neu gewählte Parteivorstand beschließt, um die SPD zu konsolidieren, ist die Bildung eines „Forums Ostdeutschland“, angeschoben vom heimlichen Parteichef der Ost-SPD Wolfgang Thierse. Seine konstituierende Sitzung hat das Forum Mitte März 1996. Vorsitzender ist Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe. Dem Vorstand gehören neben Thierse und Höppner die ostdeutschen SPD-Landeschefs und weitere Spitzenpolitiker an.

Die spezifischen Interessen Ostdeutschlands diskutieren

In dem Forum sollen die spezifischen Interessen der Ostdeutschen öffentlich diskutiert werden. Dabei soll es jedoch nicht um einen ostdeutschen Separatismus gehen, betont Stolpe, der das Forum in Leipzig mit einer Rede „Gleichberechtigt in einem Land“ eröffnet. Das Forum soll vielmehr ein Teil der sozialdemokratischen Gesamtbühne sein und eine Brücke bilden zu denjenigen im Osten, die Parteien skeptisch gegenüberstehen. Dass Stolpe dies kann, hat er 1994 mit seinem fulminanten Wahlsieg in Brandenburg gezeigt, wo er eine absolute Mehrheit einfährt. Er ist damit der Hoffnungsträger der ostdeutschen SPD.

Wie schwierig die Lage der SPD in den fünf neuen Ländern ist, zeigen die Mitgliederzahlen. 28.000 Genossen werden 1996 in ganz Ostdeutschland gezählt, das sind weniger als in der Region Dortmund-Unna. Insgesamt hat die SPD 1996 mehr als 800.000 Mitglieder.

Politisches Netzwerk in die Gesellschaft hinein

Mit dem „Forum Ostdeutschland“ geht die SPD nun in die Offensive. Das Forum nimmt das in sechs Jahren deutscher Einheit entstandene ostdeutsche Bewusstsein auf und thematisiert es. Es organisiert die ostdeutschen Interessen und bündelt die ostdeutschen Kompetenzen. Zudem stärkt es den Einfluss der Ost-SPD in der Bundespartei. Von nun an treffen sich die ostdeutschen SPD-Spitzenpolitiker regelmäßig, um sich abzustimmen und bei ostdeutschen Themen geschlossen aufzutreten. 

„Die Sozialdemokratie braucht diese Impulse aus dem Osten“, betont Höppner in seiner Rede bei der ersten Forumsveranstaltung, während Lafontaine vor ostdeutscher „Kirchturmpolitik“ warnt und eine gesamtdeutsche Perspektive verlangt. Wolfgang Thierse wiederum fordert, dass die SPD nicht länger leisetreten dürfe.

Von nun an finden jedes Jahr öffentliche Forumsveranstaltungen mit großen Teilnehmerzahlen, Gesprächskreise und Werkstätten statt. Es werden über Parteigrenzen hinweg Vertreter verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen eingeladen, um die Chancen politischer Beteiligung möglichst vieler zu ermöglichen. Zudem gelingt dem Forum der Aufbau eines politischen Netzwerks in die Gesellschaft hinein. Seine wichtigsten Ziele hat das Forum damit erreicht.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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