"Die junge Garde" - so würden sich Jungsozialisten heute nicht mehr nennen und auch ihre Publikationen haben inzwischen gemäßigtere Titel. Vor knapp hundert Jahren war das anders: "Die junge
Garde" war die Stimme, mit der Deutschlands Arbeiterjugend laut und kräftig ihre Ziele in das Land hineinrufen, für Sozialismus und gegen Militarismus kämpfen wollte. Erdacht wurde die Zeitschrift,
zu deren Mitarbeitern Karl Liebknecht gehörte, in Karlsruhe.
Und nicht nur das: Als sich hier am 11. Februar 1906 der "Verband der jungen Arbeiter Deutschlands" gründete, wurde die Großherzoglich Badische Residenzstadt zum Geburtsort der ersten
überregionalen jungsozialistischen Vereinigung. Treibende Kraft war der 31-jährige Rechtsanwalt und Sozialdemokrat Ludwig Frank. Er hatte an seinem Wohnort Mannheim schon 1904 einen Ortsverein ins
Leben gerufen, der sich in Karlsruhe dann mit anderen süddeutschen Vereinen zusammenschloss. Ein Jahr später hatte der Verband bereits über 3 000 Mitglieder.
Ludwig Frank hatte das Gymnasium in Lahr absolviert. Auf der Webseite der Schule (des heutigen Scheffel-Gymnasiums) ist seine Abiturientenrede aus dem Jahr 1893 zitiert: "Dichtung", so
interpretiert er die Bedeutung Lessings für seine Zeit, müsse "eine Waffe sein im Emanzipationskampf der unterdrückten Klassen... Hast du im Geiste Lessings gelebt und gewirkt? Bist du den
Unterdrückten und Notleidenden beigesprungen und hast du ihnen die helfende Hand gereicht?"
Selber Kaufmannssohn mit jüdischen Vorfahren, kämpft der spätere Reichstagsabgeordnete schon in dieser Rede mit den vertrackten Widersprüchen von Internationalismus, Vaterlandsliebe und
jüdischer Identität. Er zitiert Franz Mehring und die materialistische Geschichtsforschung, vermutlich nicht zur einhelligen Begeisterung des Lehrkörpers, und ruft seinen Mitschülernzu: "Wir müssen
gerecht werden, wir müssen ein Herz haben für die Leiden der Tieferstehenden."
Dass ein Bildungsbürger der proletarischen Jugend Deutschlands eine Stimme geben wollte - natürlich war Frank auch Gründer und Redakteur der "Jungen Garde" - passt in die Gemüts-, aber auch
Gesetzeslage der Kaiserzeit. Zwar hatten die süddeutschen Staaten relativ liberale Vereinsgesetze und politische Aktivitäten von Schülern und Lehrlingen waren grundsätzlich erlaubt, während in
Preußen stets mitlesende und -hörende Vertreter der Obrigkeit zu beschwichtigen waren. Ein "Verein der Lehrlinge und Jugendlichen Berlins und Umgebung" sah sich gezwungen, per Satzung politische
und religiöse Ziele ausdrücklich auszuschließen. Auch bei den Karlsruhe-Mannheimern war Bildungsarbeit ein Leitmotiv, doch hatten der Verband und sein Organ durchaus revolutionäre Zielsetzungen.
Den Militarismus bekämpften sie vehement. Der "Verband junger Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands (Sitz Mannheim)" - so hieß er ab Oktober 1906 - suchte auch internationalen Anschluss.
Liebknecht und Frank ergriffen die Initiative und es kam zum 1. Internationalen Jugendkongress, zur Gründung der Sozialistischen Jugendinternationale 1907 in Stuttgart. Zu dem Zeitpunkt waren in
Deutschland fast eineinhalb Millionen Jugendliche in der Industrie beschäftigt.
Es ist nicht allzu gewagt, den Verband als einen Vor-Vorläufer der heutigen Jusos zu betrachten. Auch die "SJD - Die Falken" berufen sich auf die Tradition der "Jungen Garde".
Ein langes Leben war dem Verband nicht beschieden: Schon 1908 zwang ihn
das neue Reichsvereinsgesetz zur Auflösung, denn es bestimmte, dass Personen unter 18 "nicht Mitglieder von politischen Vereinen... noch in öffentlichen politischen Versammlungen anwesend
sein" durften (bei Sedan-Feiern etc. natürlich gern). Zu dem Zeitpunkt gab es 4500 Mitglieder in 85 Ortsgruppen und 11 000 Leserinnen und Leser hatten die "Junge Garde" abonniert.
Jens Reimer Prüss
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