Geschichte

Angstschweiß und ein Cognac nach dem Mauerbau

von Carl-Friedrich Höck · 8. März 2013

Egon Bahr gilt als Architekt der Neuen Ostpolitik und rechte Hand Willy Brandts. Seine persönlichen Erinnerungen an Brandt hat er nun in einem Buch aufzeichnet. Am Donnerstagabend wurde es in Berlin vorgestellt – und Peer Steinbrück wurde wehmütig.

Ein berühmtes Bonmot des Komikers Karl Valentin lautet: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Über Willy Brandt lässt sich sagen: Über ihn wurde schon viel geschrieben, nur noch nicht von allen. Dass nun auch Egon Bahr sich unter den Autoren zu Brandt einreiht, ist allerdings bemerkenswert. Denn er gehörte zu den wenigen wahren Freunden in der Politik, die Brandt hatte. Vielleicht war er sogar sein einziger.

„Dein Buch liest sich manchmal, als hättet ihr euch ein Gehirn geteilt“, sagt Peer Steinbrück. Trotz der vielen Wahlkampftermine hat er sich die Zeit genommen, das Buch mit Bahr zu diskutieren. Steinbrück ist beeindruckt. Das Buch sei frei von Schwarzhaftigkeit, lobt er. Es zeuge von Wagemut und Weitblick in einer Zeit, als mit der Ostpolitik Tabus aufgebrochen worden seien. „Man wird wehmütig“, gesteht Steinbrück. Denn damals hätten die Politiker noch einen langen Atem bewiesen, statt nur sprunghaft auf die Nachrichtenlage zu reagieren.

Steinbrück und Bahr sitzen auf einem Podium im Rathaus Schöneberg. Es ist der Ort, an dem Brandts Karriere ihren Anfang nahm. 1957 wurde er Regierender Bürgermeister Berlins. 1960 wurde Egon Bahr Sprecher des Berliner Senats – und damit auch Willy Brandts.

Brandt und Bahr bauten schnell Vertrauen auf

„Als ich die Stufen dieses Rathauses zum ersten Mal hochging, fühlte ich mich bedrückt“, sagt Bahr. Ihm sei klar gewesen, dass er als Sprecher des Senats nicht mehr für sich sprechen dürfe. Darauf habe er Brandt am ersten Abend angesprochen und gesagt, dass er ihm immer sagen werde, was er denke, ob es ihm gefalle oder nicht. Brandt habe gelächelt und erwidert: „Wenn es zu schlimm ist, dann aber bitte unter vier Augen.“

Steinbrück erinnert daran, wie schnell Bahr und Brandt Vertrauen zueinander gefasst haben. „Als 1961 die Mauer gebaut wurde, war es deine Rede, die Brandt vor dem Rathaus hielt, ohne sie überhaupt gelesen zu haben“, sagt er zu Bahr. Sicherlich habe er sie schweißgebadet verfolgt. „Ich habe einen großen Cognac gebraucht“, gibt Bahr zu.

Bahr berichtet auch von einem wütenden Brief, den Brandt an den US-Präsidenten John F. Kennedy geschrieben habe, weil der dem Mauerbau nicht entschlossen entgegen getreten sei. Doch der habe nur geantwortet: „Niemand will in den Krieg gehen, Sie auch nicht.“ De facto habe es wohl ein ungeschriebenes Abkommen zwischen Kennedy und dem sowjetischen Staatschef Chruschtschow gegeben, den Status Quo im Kalten Krieg zu stabilisieren.

Brandt sei nicht depressiv gewesen, beteuert Bahr

So arbeitet sich Bahr von einem Kapitel aus Brandts Leben zum nächsten. Dabei beschreibt er Brandt als mutigen Menschen, der keineswegs so depressiv und zögerlich gewesen sei, wie ihm Viele unterstellten. Er schildert die Auseinandersetzungen Brandts mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner, der ihn mal unterstützt, mal sabotiert habe. Als Wehner 1973 ausgerechnet in Moskau über den Bundeskanzler lästerte, dieser bade „gerne lau“, habe er Brandt davon abgehalten, Wehner rauszuwerfen. „Das war ein Fehler von mir“, sagt Bahr nun.

Auch über den Rücktritt Willy Brandts als Bundeskanzler berichtet Bahr aus einer persönlichen Perspektive. Objektiv sei der Rücktritt unnötig gewesen, sagt er. „Doch ich habe ihm dazu geraten, weil ich nicht wollte, dass der Freund kaputtgemacht wird.“ Brandt habe nicht mehr die nötigen Nerven gehabt.

Was er von Brandt lernen könne, wird Peer Steinbrück zum Schluss gefragt. „Haltung zeigen, ein gesetztes Ziel über lange Zeit verfolgen und gegenüber den Wählern auch Unangenehmes aussprechen“, antwortet er. So etwas sei nun auch mit Blick auf Europa nötig. Alle seien aufgefordert, ein Ziel zu entwerfen: Wie soll sich die EU als Gebilde weiterentwickeln? Wie müssen die demokratischen Institutionen verändert werden und nach welchen Kriterien sollen noch neue Länder in die EU aufgenommen werden?  Bahr ist begeistert. „Wir werden darauf zurückkommen“, sagt er schmunzelnd.

Egon Bahr: Das musst du erzählen... Erinnerungen an Willy Brandt. Propyläen Verlag 2013, 240 Seiten, 19,99 Euro. ISBN: 9783549074220

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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