"Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen", sagte Willy Brandt 1972. Die SPD schuf in den 1970er Jahren neue Chancen für die Menschen und die Umwelt.
„Wir schaffen das moderne Deutschland.“ Das war der wohl wichtigste Slogan der Bundestagswahl 1969. Nach dieser Wahl stellte die SPD – zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik – den Kanzler. Der Slogan signalisierte zweierlei. Zum einen: Es war in der 20-jährigen CDU/CSU Herrschaft viel liegen geblieben. Zum andern ging es der SPD damals nicht nur um Fragen der Verteilung, es ging auch um Modernisierung, um das sachlich Richtige.
Reformen zugunsten der Mehrheit
Die von der sozialliberalen Koalition getragene Regierung Willy Brandts hat sich 1969 Veränderungen auf breiter Front vorgenommen. Es gab riesigen Nachholbedarf in der Bildungspolitik, in der Rechtspolitik, in der Städtebauförderung, beim Umweltschutz, bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern, in der Steuer- und Sozialpolitik, bei Vermögensbildung und Mitbestimmung.
„Das moderne Deutschland“ im Original-Ton: Zur Regierungserklärung von Willy Brandt 1969. Zur Regierungserklärung von Willy Brandt 1969
Der hinter der Reformpolitik steckende Ansatz ist am besten durch den Slogan bezeichnet, den die SPD zu Beginn des Wahlkampfes 1972 benutzte: „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.“ Das waren Veränderungen zu Gunsten der Mehrheit und vor allem jener, die bisher benachteiligt waren.
Für viele junge Menschen endete die Ausbildung mit Volksschule und Lehre. Weiterführende Schulen und Universitäten waren den Kindern von Arbeiterfamilien meist verschlossen. Mit mehr Geld für Bildung, mit einem neuen Bundesausbildungsförderungsgesetz und mit einer spürbaren Förderung des Hochschulbaus wurden den bisher Benachteiligten neue Möglichkeiten eröffnet.
Nach dem Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt im Mai 1974 gab es zwar einige neue Akzente, aber auch weitere beachtliche Reformleistungen. An eine Besonderheit sei erinnert: an den 1975 beschlossenen Ersatz des ungerechten Kindersteuerfreibetrags durch ein einheitliches Kindergeld für alle. Es ist typisch, dass die Union unmittelbar nach Beginn der Regierung Kohl diesen Reformschritt zurücknahm.
Mit Umweltschutz begonnen
Wenn heute auf einer Ökologie-Konferenz ein Redner über den Beginn des Umweltschutzes in Deutschland spricht, dann datiert er diesen in der Regel mit der Veröffentlichung der Studie des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums im Jahr 1972.
Selbst Sozialdemokraten widersprechen nicht, obwohl damals von der Regierung Brandt schon einige ökologisch relevante Entscheidungen getroffen worden waren – so zur Gründung des Bundesamtes für Umweltschutz und des Umwelt-Sachverständigenrates (28.12.1971), zur Verringerung des Bleigehaltes im Benzin (7.12.1971), und wichtig: zur mitwirkenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes (14.4.1972).
Auf ihrem Steuer-Parteitag hatte die SPD schon im November 1971 die „Besteuerung umweltfeindlicher Produkte“ beschlossen. Das und viele andere Pionierleistungen der SPD zum Umweltschutz sind schlicht vergessen. Nicht alles war erfolgreich. Viele Reformvorstellungen, wie etwa zur Bodenwertzuwachssteuer, zu einer besseren Vermögensverteilung oder zur umfassenden betrieblichen Mitbestimmung, blieben auf der Strecke.
Aber eines kann man wohl festhalten: Die Kritik, damals seien mit Brandts Reformverspechen zu hohe Erwartungen geweckt worden, ist eine der fragwürdigsten. Denn ohne überhöhte Erwartungen wäre vieles nicht durchsetzbar gewesen. Ohne Emotion läuft auch in der Politik nichts.