Geschichte

60 Jahre Römische Verträge: Wie die Einigung Europas dauerhaft stabil bleibt

Vor 60 Jahren wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet. Heute steckt die Europäische Union in der Krise. Doch die Probleme lassen sich lösen: durch eine europäische Sozialpolitik und Mut zur Freiheit – sowie weniger Feigheit vor Kompromissen.
von Klaus Hänsch · 24. März 2017
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Die Römischen Verträge waren die Folge einer Krise. Sechs Monate zuvor hatten sowjetische Panzer den Polen und Ungarn den Weg zur Demokratie blutig versperrt. Die USA hatten Großbritanniens und Frankreichs Krieg gegen die Verstaatlichung des Suez-Kanals gestoppt und ihnen gezeigt, dass ihre Weltmachtzeit endgültig zu Ende war. Der militärische und der politische Ansatz der europäischen Einigung war gescheitert. Aber sechs Demokratien waren bereit, sie auf das Ökonomische konzentriert pragmatisch und entwicklungsfähig fortzusetzen. Die SPD war dafür und sie blieb es – manchmal mit Skepsis, aber immer mit Verantwortung.

Mängel, Rückschläge, Enttäuschungen

60 Jahre und zwei große Reformen (die Verträge von Maastricht und Lissabon) später ist die europäische Einigung weiter, als es 1957 vorstellbar war. Aus der Wirtschaftsgemeinschaft für den Westen wurde die politische Union für ganz Europa. Sie fing den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und die Wiedervereinigung Deutschlands auf, schuf Schengen, ERASMUS und den Euro. Nichts blieb ohne Mängel, Rückschläge und Enttäuschungen. Alles steht vor neuen Herausforderungen und Gefahren: Auf dem Spiel stehen die Demokratie, die innere und äußere Sicherheit und der Zusammenhalt in Europa.

Das Soziale stand in den Römischen Verträgen nur als Pflaster für die Wunden, die der Markt schlägt. Heute bleibt die Union nur stabil, wenn sie – wie jedes andere politische Gebilde auch – die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen ihren Mitgliedern nicht zu groß werden lässt. Ein Rückbau zu einem Markteuropa ohne Regeln für Soziales, Umwelt, Verbraucher usw. würde die Union belangloser, aber keineswegs attraktiver machen.

Im Windschatten der USA

Dem Europäischen Parlament wurde 1957 keine Macht zugestanden, heute ist es Mit-Gesetzgeber. Die Demokratie wird nicht durch mehr Kompetenzen für „Brüssel“ bedroht, sondern durch die Hundertschaft der Finanzdealer, die mit dem Schicksal ganzer Völker Monopoly spielt. Ihre Existenz überhaupt wird von privaten weltweit agierenden Big-Data-Systemen und staatlichen Geheimdiensten bis in die Wahlentscheidungen hinein angegriffen. Diese Angriffe können Europas Demokraten nur gemeinsam abwehren.

Europäische Außenpolitik kam 1957 nicht vor. Es reichte, sich in den Windschatten der USA zu ducken. Heute müssen sich die Europäer auf sich selbst verlassen. Trumps „Make America great again” entspricht Putins großrussischen Ambitionen und Xi Jinpings Asiatisch-Pazifischem Raum, „der die Welt führt“. Jeder folgt dabei einem autoritären innenpolitischen Impuls. Jeder „Deal” zwischen ihnen wird Einflusszonen festlegen, die Europa auseinandertreiben. Die Europäer werden sich in der Welt nur gemeinsam behaupten oder einzeln untergehen.

Wozu Europa?

Ist das „Nationale“ zurück? Es war nie weg. Die Union stammt nicht von einem anderen Stern. Es waren Nationalstaaten, die sie gegründet und zu dem gemacht haben, was sie und wie sie ist. Gerade weil sie national dachten, trieben sie die Einigung Europas voran. Das Nationale stand 1957 allerdings für den Mut zu Freiheit und Frieden, Versöhnung und Zusammenarbeit. Das Neonationale heute steht für die Feigheit vor den Abwägungen, Rücksichten und Kompromissen der Einigung und für eine bösartige Freude am Zusammenbruch.

Mehr als neue Basteleien an Konstruktion und Organen der Union braucht die Einigung Europas ein „Wozu“, das über Wirtschaft und Macht hinausweist. Gerade weil sie Nation, Staat und Gerechtigkeit nicht untergehen lässt, hat sie das Potenzial, Freiheit und Frieden, Demokratie und Recht, Sicherheit und Säkularität in Europa immer wieder neu zukunftsfest zu machen und einen Platz in der Welt zu sichern. Dass sie daran mutig festhalten, schulden die deutschen Sozialdemokraten ihrer eigenen Geschichte und Zukunft.

Autor*in
Klaus Hänsch

war von 1994 bis 1997 Präsident des Europäischen Parlamentes.

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