50 Jahre BAföG: ein Meilenstein der bundesdeutschen Geschichte
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Für die Sozialdemokratie ist die Ermöglichung eines Aufstiegs durch Bildung seit jeher ein fester Bestandteil der Programmatik: von den ersten proto-gewerkschaftlichen Bildungsvereinen im Vormärz bis zum digitalen Informationszeitalter der Gegenwart. Der im Grundgesetz verankerte soziale Rechtsstaat der Bundesrepublik wies nach 1949 eine markante Gerechtigkeitslücke auf. Hochschulbildung war weiterhin primär ein Privileg von Kindern aus einkommensstarken Haushalten. Angehörige ökonomisch schwächerer und nicht-akademischer Bevölkerungsgruppen konnten sich ein mehrjähriges Studium kaum leisten.
Die SPD machte es sich zur Aufgabe, diesen Umstand zu ändern. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 1969 hieß es entsprechend: „Der Bildungsplan, auf den sich die Sozialdemokraten in allen Bundesländern verpflichtet haben, sichert den jungen Menschen, unabhängig vom Einkommen der Eltern, gleiche Start- und Ausbildungschancen.“ Ein zentrales Instrument sollte dabei das BAföG darstellen. So hieß es wenige Sätze später: „Ein allgemeines und umfassendes Ausbildungsförderungsgesetz wird ab 1970 eingeführt.“
44 Prozent der Studierenden mit BAföG-Förderung
In seiner ersten Regierungserklärung betonte Bundeskanzler Willy Brandt, dass der grundgesetzlich fixierte Auftrag der Chancengleichheit in der Bildung nicht annähernd erfüllt sei. Die Verwirklichung sozialer Demokratie bedürfe daher einer Bildungsplanung zur Herstellung von Chancengleichheit. In den Folgejahren setzte die sozial-liberale Koalition zahlreiche Reformen im Wissenschafts- und Bildungsbereich um. Die Erarbeitung und Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes war dabei eine der wichtigsten und nachhaltigsten.
Bis dato hatte nur eine rudimentäre finanzielle Unterstützung für Studierende existiert, die im Wintersemester 1957/58 mit dem Honnefer Modell, später durch das Rhöndorfer Modell ergänzt, eingeführt worden war. Im Gegensatz zum späteren BAföG bestand jedoch kein Rechtsanspruch auf Unterstützung, es gab keine Vollförderung und es kamen deutlich weniger Studierende in ihren Genuss. Das BAföG wurde 1971 hingegen als staatliche Vollförderung eingeführt (ab 1974 zum Teil als Darlehen), die rechtlich einklagbar war. In den Folgejahren stieg, vor allem durch die Einführung des BAföG, der Anteil von Studierenden aus ärmeren und/oder Nichtakademiker-Haushalten deutlich an. 1972 erhielten bereits knapp 44 Prozent der Studierenden eine BAföG-Förderung.
Eine signifikante Änderung brachte der Kanzlerwechsel 1982 und die neue CDU/CSU-FDP-Koalition mit sich. Das BAföG wurde auf Volldarlehen umgestellt, was zur Anhäufung von Schulden bei den Bezieher*innen führte. Ebenso schreckte die Umstellung Studierende aus finanziell schwächer aufgestellten Haushalten von der Aufnahme eines Studiums ab. Darüber hinaus strich die Kohl-Regierung den Großteil des Schüler-BAföGs.
Schwarz-Gelb schränkt die Förderung ein
Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung kam es zu ersten Korrekturen durch die christlich-liberale Koalition. Das BAföG wurde fortan zu 50 Prozent als rückzahlbares Darlehen gewährt und zu 50 Prozent als staatliche Förderung, die nicht zurückgezahlt werden muss. Gleichzeitig wurde das BAföG auf die neuen Bundesländer ausgedehnt. 1996 wurde das BAföG durch das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG), umgangssprachlich „Meister-BaföG“ genannt, ergänzt, das die Förderung des beruflichen Aufstiegs in Handwerksberufen zum zentralen Ziel hat. In den Folgejahren schränkte die schwarz-gelbe Regierung die Fördermöglichkeiten jedoch erneut ein. 1998 erhielten schließlich nur noch 12,6 Prozent der Studierenden BAföG.
Die SPD machte die Reform des BAföG und die Erweiterung der Bezugsberechtigten zu einem wichtigen Thema in ihrem Wahlkampf 1998. Im Sinne des neuen Leitbilds des aktivierenden Sozialstaats und dem Ideal eines Social Investment State nahm Bildungspolitik einen zentralen Stellenwert ein. So hieß es im Wahlprogramm: „Der Zugang zum Studium darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein. Wir werden für eine BAföG-Reform mit einer bedarfsgerechten Ausbildungsförderung sorgen. Eine Verkürzung der Studienzeiten kann nur gelingen, wenn die Studierenden ausreichende materielle Studienbedingungen vorfinden. Die SPD-geführte Bundesregierung wird die Talfahrt bei der Ausbildungsförderung stoppen.“ Gleichzeitig positionierte sich die Partei deutlich gegen Studiengebühren. Nach dem Wahlsieg setzten SPD und Bündnis 90/Die Grünen die angekündigten Reformen um. Unter anderem wurde die Summe der maximalen Rückzahlungen auf 10.000 Euro gedeckelt und Kindergeld wurde nicht mehr bei der Einkommensanrechnung berücksichtigt. Die Reformen führten in den Folgejahren zu einem Anstieg an BAföG-Bezieher*innen.
Soziale Herkunft bestimmt noch immer über Bildungsabschluss
Das von der sozial-liberalen Koalition eingeführte BAföG ist eine Erfolgsgeschichte. Mehr als 36 Millionen Studierende und Schüler*innen wurden seit 1971 auf diese Weise gefördert. Gleichzeitig ist Deutschland trotz BAföG immer noch ein Staat, in dem die soziale Herkunft in hohem Maße den Bildungsabschluss determiniert. Es ist Aufgabe und Verpflichtung sozialdemokratischer Politik, dies zu ändern. Im Bundestagswahlkampf 2021 kündigte die SPD in ihrem Zukunftsprogramm an, das BAföG schrittweise wieder vollständig auf staatlichen Zuschuss umstellen, die Altersgrenzen beim BAföG streichen und ein Neustart-BAföG einführen zu wollen. Letzteres soll auch im Erwachsenenalter berufliche Umorientierung ermöglichen. Es bleibt abzuwarten, ob diese Forderungen und wieviele von ihnen von einer neuen Bundesregierung umgesetzt werden können.
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ist Mitglied des SPD-Geschichtsforums und Leiter der Nachwuchsgruppe „Der ‚aktivierende Sozialstaat‘ – eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte deutscher Sozialpolitik, 1979-2017“ am SOCIUM - Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.