Geschichte

25. Todestag von Willy Brandt: Seine Botschaften an die SPD

Vor 25 Jahren starb der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Willy Brandt. Die Anleitung zur Lösung der Probleme im 21. Jahrhundert wird man bei ihm nicht finden. Der langjährige Parteivorsitzende gibt aber Orientierungen, die der SPD auch in Zeiten schwerer Wahlniederlagen helfen können.
von Ulrich Schöler · 4. Oktober 2017
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Es sind nicht nur, aber auch Jubiläen, die es nahelegen, sich im Jahr 2017 an Willy Brandt zu erinnern: Vor 60 Jahren wurde er zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt und er verstarb vor genau einem Vierteljahrhundert, am 8. Oktober 1992. Dazwischen, 30 Jahre zurück, liegt der nicht ganz freiwillige Rücktritt vom Parteivorsitz der SPD. Zugleich hat seine SPD angesichts mehrerer heftiger Wahlniederlagen allen Anlass, sich der Frage zu stellen, ob sein Vermächtnis mehr hergibt als bloße dankbare Erinnerung.

Brandt gibt Orientierungen, die helfen können

Meine Antwort vorweg: Ein klares Ja, wobei Brandt immer betont hat, dass jede Zeit ihre eigenen Antworten erheischt. Wir finden also bei Brandt keinen Baukasten zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts, aber Orientierungen, die helfen können. In seiner Abschiedsrede auf dem Parteitag 1987 hat er Freiheit und Frieden als die beiden wichtigsten Aufgaben sozialdemokratischer Politik benannt.

Aber was bedeutet heute mehr Freiheit? Brandts Orientierung liest sich so: „Wenn der Freiheitsbegriff nicht entleert werden soll, muss er – die parlamentarische Demokratie ergänzend – seine Konkretisierung nicht nur in den Institutionen des Staates, sondern auch vor Ort und in den Unternehmen finden: durch Demokratisierung des Wirtschaftsgeschehens; durch soziale und humane Kontrolle des materiellen Fortschritts; durch eine kommunale Selbstverwaltung, die man nicht verkümmern lassen darf; durch selbstkritische Weiterentwicklung der sozialen Demokratie und ihrer Institutionen.“ Unschwer lässt sich hier eine Parallele ziehen zur programmatischen Aussage seiner ersten Regierungserklärung 1969, sein Kabinett wolle „mehr Demokratie wagen“. Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung hat gerade, kurz vor der Bundestagswahl, auf einer großen wissenschaftlichen Tagung an diesen Impuls und Aufbruch erinnert.

Für mehr gemeinsames Europa

Die Stichworte der Globalisierung und Internationalisierung illustrieren, dass die Umsetzung von Brandts Überlegungen heute auf grundlegend veränderte Bedingungen trifft. Die Reichweite politischen Handelns im Nationalstaat ist engen Grenzen ausgesetzt, wofür Brandt dennoch einen Orientierungspunkt bietet: „Nichts führt aber an der Einsicht vorbei, dass die Politik nicht mehr enteuropäisiert werden kann; dass es töricht wäre, ohne EG sein zu wollen.“ Hier liegt die Aufgabe fast tagesaktuell vor uns: Im Angesicht des Brexit, des Wachsens europaskeptischer Bewegungen in verschiedenen Mitgliedsstaaten, der Schwierigkeiten, ein gemeinsames Handeln in der Migrationsfrage zu organisieren, brauchen die jüngsten Vorschläge Emmanuel Macrons für eine Vertiefung der Europäischen Union einen starken Partner auf deutscher Seite. Wer, wenn nicht die SPD, sollte dies sein?

Und der Friede? USA/Nordkorea, Syrien, Irak sind nur Stichworte, Chiffren für ungelöste Konflikte, die erneut den Weltfrieden bedrohen. Ohne die Rückbesinnung auf Lehren aus der Zeit des „Kalten Krieges“ wird es daraus keinen Ausweg geben. Zu Recht schrieb im September die Zeit: „Mit außerordentlichem Einfühlungsvermögen hat sich der Pragmatiker Brandt als erster namhafter Staatsmann des Westens in die verharschten Denkstrukturen der jeweiligen Verhandlungspartner hinter dem Eisernen Vorhang hineinzuversetzen vermocht und sie dann peu à peu aufgeweicht.“ Ohne eine neue derartige Entspannungspolitik wird unser Globus keinen Frieden erreichen können.

Brandts Botschaft an die SPD

Brandts Abschiedsrede vor 30 Jahren hat schließlich auch einige innenpolitischen Botschaften für seine SPD, die nichts an Aktualität eingebüßt haben: Er warnt seine Partei etwa vor der wohlfeilen Allgemeinheit, „dass es ‚auf die Mitte‘ ankomme“. Seine Politik zielte nicht darauf, die SPD in die Mitte oder nach rechts, sondern die Mitte nach links zu verschieben. Ebenso warnt er davor, dass das Feuer der Begeisterung erlischt und die Quelle der Kraft versiegt, „wenn die Grundlagen politischen Wirkens nicht mehr im Ringen der Meinungen erarbeitet, sondern nur noch irgendwo eingekauft und irgendwo zugeliefert werden“. Gute Werbeagenturen ersetzen eben noch keine Politik.

Zu den wichtigsten Verdiensten Brandts gehört es sicherlich, seine Partei in den siebziger Jahren für eine ungeheuer große Zahl junger Menschen geöffnet zu haben. Generationell spricht man deshalb heute auch von den „78ern“ in der SPD. Da, wo sozialdemokratische Parteien und andere linke Bewegungen in Europa (und nicht nur dort) aktuell erfolgreich sind, zeigen sie sich erneut auch als Jugendbewegungen. Ob die SPD diese Botschaft, diesen Auftrag verstanden hat?

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Ulrich Schöler

ist Vorstandsvorsitzender der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung

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