25 Jahre danach: Der lange Kampf um die Oder-Neiße-Linie
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Fast genau 45 Jahre lang war die Grenze zwischen Polen und Deutschland umstritten und völkerrechtlich nicht anerkannt. Erst als die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 konkret wurde, bestand die Möglichkeit, die Oder-Neiße-Linie als völkerrechtlich verbindliche Grenze anzuerkennen. Denn ein wiedervereinigtes Deutschland würde erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder die volle Souveränität besitzen, auch Grenzfragen zu regeln. Die Sorge der Polen war deshalb groß, ob ein starkes wiedervereintes Deutschland auch dazu bereit war. Schließlich bedeutete die Anerkennung der Grenze auch den endgültigen Verzicht auf die deutschen Ostgebiete – für Polen eine existentielle Frage. Die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze war deshalb auf dem Weg zur Wiedervereinigung von großer Bedeutung.
Vorläufige Oder-Neiße-Grenze führte zu Millionen Vertriebenen
Ein Blick zurück: Die heutige deutsch-polnische Grenze wurde am 2. August 1945 im Potsdamer Abkommen zwischen Großbritannien, USA und UdSSR festgelegt. Die sogenannte Oder-Neiße-Linie wurde bis es zu einer endgültigen Friedensregelung als vorläufige Grenze zwischen Polen und Deutschland definiert. Durch diese Grenzziehung wurden Teile Deutschlands unter polnische Verwaltung gestellt. Millionen Deutsche mussten ihre Heimat verlassen, um Millionen Polen Platz zu machen, die von der Sowjetunion vertrieben wurden.
Doch der Kalte Krieg verhinderte, dass es zu einer endgültigen Friedensregelung kam. So blieb die Oder-Neiße-Linie 45 Jahre lang ein umstrittenes rechtliches und politisches Provisorium. Zunächst wurde die DDR aktiv und unterzeichnete am 6. Juni 1950 die Deklaration von Warschau, die die Oder-Neiße-Linie als Grenze anerkannte. Einen Monat später wurde der Verlauf der „Friedens- und Freundschaftsgrenze“ im Görlitzer Abkommen genau festgelegt. Die Bundesrepublik hielt diese Vereinbarung jedoch für „null und nichtig“, da eine Entscheidung über die Grenze ja einer endgültigen Friedensregelung vorbehalten war. Zudem fehlte der DDR die notwenige Souveränität, um dies völkerrechtlich bindend zu vereinbaren.
Brandt und Bahr machten Oder-Neiße-Linie erst „salonfähig“
In der Bundesrepublik wurde in den ersten beiden Jahrzehnten des Kalten Krieges von SPD und CDU die Unteilbarkeit Deutschlands betont, ein Verzicht auf die deutschen Ostgebiete erschien unvorstellbar. Erst mit der „neuen Ostpolitik“, die Willy Brandt und Egon Bahr mit der Formel „Wandel durch Annäherung“ einleiteten, kam es auch in der Grenzfrage zu einer grundlegenden Änderung.
Brandt sprach sich 1968 als Außenminister der Großen Koalition für eine „Respektierung der Oder-Neiße-Grenze bis zur friedensvertraglichen Regelung“ aus. Als Bundeskanzler der sozialliberalen Koalition kündigte er die Anerkennung der Grenze an, was zu heftigen Protesten der CDU und der Vertriebenenverbände führte. Doch davon ließ sich der SPD-Vorsitzende nicht bremsen. Nach fast einem Jahr intensiver Verhandlungen in Moskau und Warschau wurden am 12. August 1970 der Moskauer Vertrag und am 7. Dezember 1970 der Warschauer Vertrag unterzeichnet. Das Foto des bei einer Kranzniederlegung knienden Willy Brandt ging um die Welt.
Deutschland war nicht Herr seiner Grenzen
In den Verträgen wurde vereinbart, dass die Oder-Neiße-Linie die „westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet“. Der Bundestag nahm diesen Vertrag 1971 unter Enthaltung der Union an. Am 17. Mai 1972 bestätigte der Bundestag einstimmig in einer gemeinsamen Entschließung, dass die beiden Verträge „von heute tatsächlich bestehenden Grenzen“ ausgingen und sie deren einseitige Änderung ausschließen. Eine friedensvertragliche Regelung sei dadurch nicht vorweg genommen und sie würden „keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen“ schaffen. Mehr konnte der Bundestag nicht machen, denn das Kontrollrecht der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs erlaubte der Bundesrepublik nur eine Teilsouveränität. Grenzregelungen sollten ja nur durch Deutschland als Ganzes vorgenommen werden können.
Als 1990 die Wiedervereinigung anstand, erklärten die drei Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich, dass sie einer Vereinigung beider deutscher Staaten nur zustimmen würden, wenn die Oder-Neiße-Grenze von der Bundesrepublik endgültig als polnische Westgrenze anerkannt werde. Am 21. Juni 1990 verabschiedeten die Volkskammer der DDR und der Deutsche Bundestag eine gleichlautende Erklärung, in der sie den Verlauf der Grenze zu Polen als endgültig bezeichneten. Nach der Vereinigung Deutschlands werde man dies völkerrechtlich verbindlich mit einem Vertrag mit Polen regeln.
Zwei-plus-Vier-Vertrag besiegelte deutsch-polnische Grenze
Im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 zwischen der Bundesrepublik, der DDR sowie USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion wurde noch einmal die bestehenden Grenzen zwischen dem wiedervereinten Deutschland und Polen bestätigt. Am 14. November 1990, fünf Wochen nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, wurde in Warschau der deutsch-polnische Grenzvertrag unterzeichnet und damit die Oder-Neiße-Linie zur völkerrechtlich anerkannten Grenze.