Geschichte

23. März 1933: Nur die SPD sagte Nein

von Die Redaktion · 23. November 2005
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Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Mit diesem oft zitierten Satz leitete der SPD-Parteivorsitzende Otto Wels am 23. März 1933 im Namen der einzigen noch demokratischen Partei sein Plädoyer gegen die "Ermächtigung" zur Zerstörung von Demokratie und Rechtsstaat ein. Nicht nur mit dem parteipolitisch wirkenden Verweis auf die Verfolgung der Sozialdemokraten, sondern wegen ihrer grundsätzlichen freiheitlich-demokratischen Überzeugungen lehnte die SPD dieses Gesetz ab.

Schon am 1. Februar, nur zwei Tage nach der "Machtübergabe", hatte Hitler bei Hindenburg die Auflösung des Reichstages durchgesetzt. So konnte er mit Notverordnungen am 4. Februar die Versammlungs- und Pressefreiheit einschränken und am 28. Februar, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, die Grundrechte außer Kraft setzen und die massive Verfolgung seiner Gegner anordnen. Bei den Wahlen am 5. März 1933 erhielt die NSDAP dennoch nur 43,9 Prozent der Stimmen (die SPD, die als einzige Partei Freiheit und Demokratie kompromisslos verteidigte, nur 18, 3 Prozent).

Um die Zweidrittelmehrheit für sein "Ermächtigungsgesetz" zu erhalten, brauchte Hitler also die Unterstützung "williger Helfer". Und die bekam er. Die Reichstagsabgeordneten der bürgerlichen Parteien "legalisierten" mit ihrem Ja die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie, die uneingeschränkte Diktatur und Gewaltherrschaft der Nazis. Sie ermächtigten die Hitler-Regierung, Gesetze zu beschließen, die von der Verfassung abweichen. (Die Abgeordneten der KPD waren von der Sitzung ausgeschlossen.)

Unter Verweis auf die Weimarer Verfassung bekannte sich Wels im Namen der SPD "zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festgelegt sind." Er verwahrte sich gegen die Vereinnahme des Begriffes Sozialismus durch die Nazis, die damit versuchten, "die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten, die seit mehr als zwei Menschenaltern die Trägerin sozialistischen Gedankengutes gewesen ist und auch bleiben wird."

Aus der Sicht der dreißiger Jahre mag es wie Zweckoptimismus klingen, wenn er am Schluss seiner Rede von der "Standhaftigkeit und Treue, dem Bekennermut und der ungebrochenen Zuversicht" der verfolgten Sozialdemokraten spricht, die eine "hellere Zukunft verbürgen". Denn die mutige Rede von Wels hatte zunächst machtpolitisch keine Wirkung und konnte den Weg in die Katastrophe nicht aufhalten. Aber die "Standhaftigkeit und Treue, der Bekennermut und die ungebrochene Zuversicht" der verfolgten Sozialdemokraten waren ein moralischer Sieg. Dieser über zwölf Jahre wirksam bleibende moralische Machtfaktor konnte nach der Zerschlagung der Naziherrschaft auch wieder zu einem politischen Machtfaktor für eine "hellere Zukunft" werden. Und er könnte es auch bleiben - oder wieder werden - wenn genügend geschichtsbewusste Menschen die Erinnerung daran lebendig halten.

Der Stolz auf die moralische Integrität und demokratische Überzeugungstreue darf die bittere Einsicht nicht verdrängen: Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung konnte den Sieg der Nazis nicht verhindern. Schon in der Weimarer Zeit und schließlich im Widerstand und in der Emigration stellten viele Sozialdemokraten in selbstkritischen Analysen Fragen nach Fehlern und Fehleinschätzungen der SPD. Weitgehende Übereinstimmung herrscht darüber: Nach dem Zusammenbruch des alten Systems (1918-1920) hat die SPD ihren Handlungsspielraum nicht optimal genutzt, um den Wiederaufstieg der antidemokratischen Machteliten in Militär, Justiz, Verwaltung und Wirtschaft zu verhindern oder wenigstens einzudämmen.

Im März 1920 konnte die Arbeiterbewegung durch einen Generalstreik, für den sich Otto Wels besonders engagiert hatte, die Demokratie noch erfolgreich gegen den reaktionären Kapp-Putsch verteidigen. Im Juli 1932 dagegen, als Reichskanzler von Papen die sozialdemokratische Regierung Preußens staatsstreichartig absetzte, und am 30. Januar 1933 gab es keine machtpolitische Grundlage mehr, um die Demokratie durch einen Generalstreik zu retten. Müßig erscheint daher die Frage, ob nicht dennoch 1932 und 1933 ein "kämpfender Untergang mit vielen Blutopfern" besser gewesen wäre.

Horst Heimann

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