Geschichte

20. Oktober 1971: Willy Brandt bekommt den Friedensnobelpreis

Vor 50 Jahren erhält Willy Brandt der Friedensnobelpreis. Das Nobelpreiskomitee ehrt die neue Ost- und Entspannungspolitik des Bundeskanzlers, die er in der sozialliberalen Koalition verwirklicht – aber nicht nur die.
von Thomas Horsmann · 19. Oktober 2021
10. Dezember 1971 in Aula der Universität Oslo: Die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, Aase Lionaes (Mitte rechts), überreicht dem  Bundeskanzler Willy Brandt die Urkunde und die Medaille des Friedens-Nobelpreises.
10. Dezember 1971 in Aula der Universität Oslo: Die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, Aase Lionaes (Mitte rechts), überreicht dem Bundeskanzler Willy Brandt die Urkunde und die Medaille des Friedens-Nobelpreises.

Der Bundestagspräsident unterbricht die Haushaltsdebatte im Bonner Bundestag. Es ist Mittwoch, der 20. Oktober 1971, kurz nach 17 Uhr. „Ich erhalte soeben die Nachricht, dass die Nobelpreiskommission des norwegischen Parlaments heute dem Herrn Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland den Friedensnobelpreis verliehen hat.“

Im Protokoll der Sitzung wird „anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, der FDP, auf der Regierungsbank sowie teilweise bei der CDU/CSU“ notiert. Die Abgeordneten der Koalition und die Mitglieder des Bundeskabinetts stehen auf und applaudieren; nur einige Abgeordnete der CDU/CSU schließen sich an. Alle Fraktionsvorsitzende gratulieren Willy Brandt. „Herr Bundeskanzler“, fährt der Bundestagspräsident fort, „diese Auszeichnung ehrt Ihr aufrichtiges Bemühen um den Frieden in der Welt und um die Verständigung zwischen den Völkern. Der ganze Deutsche Bundestag gratuliert ohne Unterschied der politischen Standorte Ihnen zu dieser hohen Ehrung.“

Union gegen die Ostpolitik

Tatsächlich ist die Mehrheit der CDU/ CSU gegen die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition unter Brandt. Sie fürchtet eine dauerhafte Spaltung Deutschlands. Während der Streit Westdeutschland in zwei Lager teilt, wird Brandts Entspannungspolitik weltweit begrüßt. Das Nobelpreiskomitee schreibt: „Bundeskanzler Willy Brandt hat als Chef der westdeutschen Regierung und im Namen des deutschen Volkes die Hand zu einer Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern ausgestreckt. Er hat im Geiste des guten Willens einen hervorragenden Einsatz geleistet, um Voraussetzungen für den Frieden in Europa zu schaffen.“

Das Konzept der Entspannungspolitik wird von Brandt und Egon Bahr seit 1963 entwickelt und von 1969 an in der sozialliberalen Koalition umgesetzt, das Motto ist: „Wandel durch Annäherung“. Die Bausteine beschreibt Brandt später in seiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises: „Abbau der Spannungen, Zusammenarbeit der Völker, Reduzierung der Truppen und Kontrolle der Rüstungen, Partnerschaft mit den bisher Benachteiligten, gemeinsamer Schutz gegen die gemeinsame Gefahr des Untergangs – das muss möglich sein, daran müssen wir arbeiten.“

Gewaltverzicht in Europa

Erste Meilensteine sind der Verzicht der Bundesrepublik auf ihren Alleinvertretungsanspruch für Deutschland und die Anerkennung der Existenz der DDR. „Zwei Staaten – eine Nation“ ist die neue Formel. Intensive Verhandlungen führen 1970 zu den Verträgen von Moskau und Warschau. Damit werden die gegenseitigen Beziehungen normalisiert und die Grenzen Polens und der Sowjetunion anerkannt. Ein gegenseitiger Gewaltverzicht wird vereinbart. Die Bilder von Brandts Kniefall in Warschau gehen um die Welt und werden zum Symbol der Entspannungspolitik. 1971 folgt das Viermächteabkommen, das den Zugang zu West-Berlin sichert. Die Verhandlungen mit der DDR über einen Grundlagenvertrag sind in vollem Gang, als Willy Brandt am 10. Dezember 1971 in der Universität von Oslo der Friedensnobelpreis überreicht wird.

Ungeachtet dessen geht der erbitterte Streit im Bundestag um die neue Ostpolitik und die Ratifizierung der Ostverträge weiter. Als einige Abgeordnete der Koalition zur Union wechseln, sieht diese im April 1972 ihre Chance, noch einmal das Rad zurückzudrehen: Sie initiiert ein konstruktives Misstrauensvotum, das jedoch an zwei Stimmen scheitert. Kurz darauf werden im Mai 1972 die Ostverträge ratifiziert. Der Grundlagenvertrag mit der DDR wird im Dezember 1972 unterzeichnet.

Mit dem Prager Vertrag wird die neue Ostpolitik 1973 abgeschlossen. Damit ist die Stabilität in Osteuropa gesichert und ein Vertrauen geschaffen, das neue Wege der Zusammenarbeit und Annäherung eröffnet – die letztlich zur Wiedervereinigung Deutschlands führen.

 

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