20. August: Der Todestag von Kurt Schumacher
Kurt Schumacher wurde am 13.10.1895 in der alten Hansestadt Kulm an der Weichsel geboren. Gestorben ist er am 20.08.1952 in Bonn. Er war Mitglied des Deutschen Bundestages. Er hatte keine eigene Familie und vor allem nicht das, was man ein Privatleben nennt. „Ich bin mit der Politik verheiratet“, pflegte er scherzend zu sagen. Er stammte aus einer alten Beamtenfamilie. Unter vier Geschwistern war er der einzige Sohn. Die Eltern waren so gut situiert, dass der Sohn das humanistische Gymnasium in der Hansestadt Kulm besuchen konnte.
In Leipzig und Halle ließ er sich bei der juristischen und volkswirtschaftlichen Fakultät immatrikulieren. Bevor das Studium begann, begann der 1. Weltkrieg. Der 19-Jährige folgte dem allgemeinen Zug der akademischen Jugend und trat in den Augusttagen 1914 in die Armee ein. Zwei Monate später verlor er auf dem östlichen Kriegsschauplatz den rechten Arm und behielt 17 Granatsplitter in seinem Körper, die er zeitlebens mit sich herumgetragen hat.
Der Kriegsgegner war kein Beamtentyp
Nach seiner Genesung konnte er sein Studium fortsetzen und an der Universität Berlin mit der Referendarprüfung abschließen. Das Kriegserlebnis war entscheidend für Schumachers politische Entwicklung. Er wurde Kriegsgegner und stürzte sich auf das Studium des wissenschaftlichen Sozialismus. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs schloss er sich der Sozialdemokratie an. Er organisierte sich in dem der SPD nahe stehenden Reichsbund der Kriegsopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenen. Vorübergehend fand er eine Verwendung als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Reichsarbeitsministerium.
Das Beamtendasein entsprach nicht seinem Temperament. Er wandte sich dem Journalismus zu und siedelte 1920 nach Stuttgart über. Hier übernahm er das politische Ressort in der Redaktion des führenden württembergischen Parteiorgans „Schwäbische Tageswacht“.
Entschiedener Gegner der NS-Bewegung
In Stuttgart war Kurt Schumacher Mittelpunkt der Aktivistenbewegung von Republikanern, die ein Gegengewicht schufen zu den sich immer dreister gebärdenden verbündeten Mächten der Restauration und des neuen sozial verbrämten Nationalismus.
Nach dem missglückten Hitlerputsch von 1923 rief er die „Abwehrorganisation Schwabenland“ ins Leben. Sie wurde die Kerntruppe des späteren „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, dessen Führung er übernahm. Die entschiedene Gegnerschaft zum aufkommenden Nationalsozialismus dokumentiert sein berühmter Satz im Reichstag 1932: „Der Nationalismus ist nichts anderes als der Appell an den inneren Schweinehund im Menschen.“ Das vergaßen ihm die Nazis nicht.
Zehnjähriger Leidensweg
Am 12.07.1933 wurde er in Wuppertal verhaftet und in das KZ in Heuberg in Baden-Württemberg überführt. Das NS-Regime verkündete, mit Schumacher sei einer der „schamlosesten, sozialdemokratischsten Hetzer ganz Deutschlands“ unschädlich gemacht. Hier begann Schumachers Leidensweg. Er landete im Konzentrationslager (KZ) Dachau. Knapp Zehn Jahre wurde er ununterbrochen festgehalten. Er musste Demütigungen und Torturen ertragen. Man bot ihm die Entlassung an, wenn er sich verpflichtete, keine Verbindung mehr seinen früheren Genossen aufzunehmen. Er lehnte ab und trat in einen 28-tägigen Hungerstreik, als er die ihm zur Strafe zudiktierte Zwangsarbeit aufnehmen sollte. Durch den langen Nahrungsentzug wurde er schwer magenkrank.
In Folge der erlittenen Misshandlungen war er fast erblindet. Daraufhin wurde er im Sommer 1943 auf freien Fuß gesetzt. Aus dem KZ musste er getragen werden. Mit Unterstützung von Freunden gelangte er nach Hannover, wo er von Amts wegen seinen Wohnsitz nehmen musste. Er mietete eine Dachkammer in Hannover-Bodenstedt und arbeitete im Lager einer Leimfabrik in Linden. Hier konnte er Verbindung mit Gesinnungsfreunden aufnehmen.
Die Gestapo (Geheime Staatspolizei) nahm ihn im August 1944 fest, weil mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zu tun gehabt haben sollte. Er kam in das KZ Neuengamme. Nach seiner Entlassung entwarf er einen Plan zur Erneuerung der sozialistischen Bewegung. Dieser Plan wurde nach dem Zusammenbruch in die Tat umgesetzt.
Neuer Beginn nach 1945
Hannover war kaum von den alliierten Truppen besetzt, als Kurt Schumacher wieder mit der politischen Arbeit begann. Zunächst war es ein Kampf gegen die allgemeine Depression, die durch die totale Niederlage die Menschen beherrschte. Bereits am 30.04.1945 rief er in einer Versammlung in einem Trümmerhaus seine Zuhörer auf, durch soziale Tat und politische Willensbildung das Schicksal Deutschlands zu meistern. Durch seine Willenskraft und seinen Tatendrang weckte er Vertrauen und Zuversicht bei den Menschen. Im Mai 1945 eröffnete er in Hannover, Jakobstraße 10, die erste Parteigeschäftstelle, die zunächst als „Büro Dr. Schumacher“ firmieren musste. Es gelang ihm, die Parteiorganisation im Bezirk Hannover wieder auf die Beine zu stellen. Erst im September 1945 konnte sie offiziell in Erscheinung treten.
Schumacher hatte inzwischen Verbindung mit dem emigrierten Parteivorstand in London aufgenommen. Im Einvernehmen mit diesem berief er die erste zentrale Konferenz der Sozialdemokratie am 05.10.1945 in das Kloster Wennigsen bei Hannover ein. Den Grundlinien von Schumachers Referat, in dem er den Führungsanspruch der SPD in einer Periode des Kampfes um die nackte Existenz proklamierte, schlossen sich alle Delegierten an. „Hilfe für alle Elenden und Schwachen“ war der Leitgedanke des noch ungeschriebenen sozialdemokratischen Programms.
Ein Warner vor dem Kommunismus
Schon damals erkannte er die Gefahr einer Teilung der Welt in politische und ökonomische Einflusssphären und warnte ausdrücklich vor der Einheitspropaganda der Kommunisten. Er warnte Grotewohl, der Sozialdemokratie in Ostdeutschland eine kommunistische Führung aufzuzwingen. Der glänzende Redner wurde Vorsitzender der neu entstandenen SPD in den Westzonen. Stuttgarter Freunde wollten ihn zum Regierungschef in Württemberg machen, doch er lehnte ab.
Aus dem Büro Dr. Schumacher in Hannover war das Büro der Westzonen-SPD geworden. Hier in Hannover fand am 16.05.1946 der erste Parteitag nach der Weimarer Republik statt. Kurt Schumacher wurde zum Vorsitzenden gewählt.
Chef der Opposition
In kurzer Zeit erneuerte er die Organisation der Partei. Im Ausland gewann er Vertrauen und Respekt. Zwischen 1946 und 1948 unternahm er viele Auslandsreisen. So war er Gast der Labour-Partei in London. Auf Einladung der größten amerikanischen Gewerkschaft flog er in die USA. Er war in Skandinavien und nahm an internationalen Konferenzen in Zürich und London teil. Er warb aber nicht für die deutsche Sozialdemokratie, er warb für ganz Deutschland.
Nach einer arteriellen Thrombose des linken Beines, die auf seiner letzten Englandreise eintrat, musste das Bein amputiert werden. So konnte er am Düsseldorfer Parteitag nicht teilnehmen. Daher musste seine Rede verlesen werden. In Abwesenheit wurde er anschließend fast einstimmig zum Vorsitzenden der SPD Deutschland gewählt. Seine Auffassung blieb bestimmend für die Haltung der Partei in den entscheidenden Fragen der Einheitlichkeit und der politischen Funktionsfähigkeit der künftigen BRD. Im Frühjahr 1949 konnte er seine Funktion als Parteivorsitzender wieder in vollem Umfang aufnehmen.
Gesundheitliche Probleme
Er sagte: „Ich bin gesund, hoffentlich manchen Leuten nicht zu gesund.“ Trotz seiner schweren körperlicher Behinderung warf er sich mit ungebrochenem Eifer in den Wahlkampf. In seinem Wahlkreis Hannover-Süd wurde er mit absoluter Mehrheit in den deutschen Bundestag gewählt. In der ersten Legislaturperiode der neuen Volksvertretung ist er als Führer der Opposition zu einem Begriff geworden. Bei aller Schärfe und Härte seiner Kritik – Schumacher war das soziale und nationale Gewissen der Bundesrepublik. Ende 1951 erlitt er einen körperlichen Zusammenbruch.
Nach längerem Kuraufenthalt im Schwarzwald schien die Krise überwunden. In beschränktem Umfang konnte er seine politische Arbeit wieder aufnehmen. Mit Beginn des Herbstes kehrte er zu vollen Aktivität zurück. Umso größer und nachhaltiger war die Bestürzung über sein plötzliches Ableben am 20.08.1952.
Verdienste um Deutschland
Kurt Schumacher hat Vieles für das deutsche Volk geleistet. Eine große, geschichtliche Tat war sein beharrliches „Nein“ gegen einen lockeren Staatenbund ohne zentrale Rechts- und Finanzgewalt. 1951 beim Frankfurter Kongress war Schumacher der Erste und lange Zeit der Einzige, der zum Widerstand gegen die Preisgabe des deutschen Ostens aufrief.
Er war der Erste, der die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen forderte. Schumacher hat sich der Unterzeichnung und Ratifizierung des Besatzungsstatuts, des Ruhrstatuts, dem Beitritt zum Straßburger Europarat, dem Petersburger Abkommen und dem Schumannplan mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit entgegen gestemmt, weil sie aus seiner Sicht um das Zugeständnis einer Scheinsouveränität die Spaltung Deutschlands verewigten und eine Gefahr für den Frieden der Welt bedeuteten. Mitten aus dieser für das deutsche Volk entscheidenden Auseinandersetzung hat ihn der Tod herausgerissen. Die Spuren aber, die sein Werk hinterlassen hat, sind unauslöschbar.
Kurt Schumachers letzte Fahrt
Am Mittwoch, 20.08.1952, nachts gegen 22.45 Uhr starb Kurt Schumacher in seiner Wohnung auf dem Venusberg in Bonn. Am Tage darauf wurde er in einem Eichensarg, bedeckt mit einer Lassalle Fahne des Breslauer Arbeitervereins von 1863, in der Vorhalle des Parteivorstandsgebäudes der SPD in der Bonner Friedrich-Ebert-Allee aufgebahrt. Schon in den Nachmittagsstunden begann der schweigende Strom der Trauernden vorbei an dem mit Blumen bedeckten und mit Kränzen umgebenen Sarg, an dem Mitglieder und Angestellte des Parteivorstands und der benachbarten Zentrale der Falken und der Arbeiterwohlfahrt Tag und Nacht Ehrenwache hielten.
Bis Freitagabend hielt der Strom der Besucher an. Am Sonntag fand eine Trauerfeier im Plenarsaal des Bundestages. Im Beisein des Bundespräsidenten und vieler politischer Prominenz aus der Bundespolitik und zahlreichen Vertretern der sozialistischen Parteien Europas statt.
Triumphzug eines Toten
Nach einem Trauerzug durch die Stadt Bonn begann am frühen Nachmittag die 10 Stunden lange Fahrt über die Autobahn nach Hannover, die man als „Triumphzug eines Toten“ bezeichnen kann.
Der Trauerkundgebung im neuen Rathaus von Hannover wohnten 60.000 Menschen bei. Hunderttausende standen an den Strassen der Städte und Dörfer, durch die der Trauerzug führte, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Bewegt bekundete der niedersächsische Staatsministers Albertz vor dem Rathaus in Hannover. "Niemand brauche sich der Tränen um diesen Mann zu schämen." Auf dem Wege zum Friedhof säumten ca. 200.000 Menschen die Straßen. An vielen Stellen waren rote Nelken und Rosen gestreut. Die ganze Stadt nahm an diesem Trauerzug teil. Auf dem Ricklinger Friedhof wurde Kurt Schumacher bestattet.
Nachruf Erich Ollerhauers, seines Nachfolgers
Erich Ollenhauer, der spätere Parteivorsitzende, widmete dem toten Freund den Nachruf: „Das Unfassbare ist Wirklichkeit geworden. Niemand ahnte das Schreckliche. Nachmittags saßen wir noch zusammen und in seinem Haus erörterten wir Fragen zur aktuellen Politik. Die Ferienwochen gehen zu Ende. Wir sprachen über den Wiederbeginn der parlamentarischen Arbeit, über die Forderungen zu Dortmunder Parteitag.
Dann trennten wir uns, wie so oft, mit dem Blick auf den nächsten Tag. Vier Stunden später standen wir am Totenbett von Kurt Schumacher. Noch lag der Schimmer des Lebens über dem stillen, friedlichen Gesicht. Doch sein Herz steht still – für immer. Kurt Schumacher ist tot. Er war eine eigenwillige und starke Persönlichkeit. Wie kaum eine anderer Mensch hat er nach 1945 den politischen Zielen, denen er nachstrebte, Gestalt und Farbe gegeben. Seine sozialistische Überzeugung war stark fundiert in seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Kurt Schumacher ist als Politiker und SPD Vorsitzender über sich selbst hinaus gewachsen. Er hat durch sein Wirken und durch sein Beispiel in den Jahren seit 1945 in Millionen von Menschen innerhalb und außerhalb seines Vaterlandes den Glauben an das Leben wieder erweckt und gestärkt.
Das Sterbliche an Kurt Schumacher wird vergehen. Sein Werk bleibt bestehen und sein Wirken wird für uns Lebende, um sein Ideal, die Ziele seiner Partei, die Ziele unserer Partei, zu verwirklichen – nämlich dem Aufbau einer Gemeinschaft der Menschlichkeit, der Freiheit und der Gerechtigkeit für alle Menschen und für alle Völker."