100 Jahre deutsche Geschichte: Wie Emotionen sie beeinflusst haben
„Wir leben in einer Zeit, die stark von politischen und gesellschaftlichen Problemen bestimmt wird. Viele dieser Probleme resultieren aus Emotionen“, sagt Ute Frevert, Historikerin und Mitautorin der Ausstellung „Die Macht der Gefühle. Deutschland 19/19“ zur Eröffnung im Philip-Johnson-Haus in Berlin. Sie besteht aus 22 Plakaten, die jeweils eine Emotion im Bezug zu Deutschlands Geschichte zwischen 1919 und 2019 thematisieren. Die Ausstellung haben Ute Frevert und ihre Tochter Bettina Frevert in Zusammenarbeit mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erstellt.
Die Bedeutung von Gefühlen
„Politik wird von Menschen gemacht. Deswegen sind Gefühle in der Politik ebenso allgegenwärtig wie im Alltag“ – wird Außenminister Heiko Maas als Schirmherr zu Beginn der Ausstellung zitiert. Die Bedeutung von Gefühlen in der Geschichte und der Politik Deutschlands darzustellen ist ein großes Anliegen der Autorinnen. Man könne „so viel mehr aus der Geschichte herausziehen als nur Herrschaftsgeschichte, Männergeschichte und Nationsgeschichte“. Das habe Bettina Frevert bei der Arbeit an der Ausstellung gemerkt.
Emotionen bestimmen unser Handeln und sind somit wichtig bei der Betrachtung der Geschichte, meint Andreas Görgen, Leiter der Kultur- und Kommunikationsabteilung im Auswärtigem Amt: „Gefühle sind die Ressource für soziales Handeln.“ So können Gefühle wie „Hoffnung und Begeisterung mobilisieren – zum Guten wie zum Schlechten“, wird Maas in der Ausstellung zitiert. Und Wir leben aktuell, so Ute Frevert, „in einer Zeit, die mit gesellschaftlichen und politischen Problemen zu tun hat, die stark von Emotionen bestimmt werden“. Doch die Historikerin fügt hinzu, dass jede zeitliche Epoche von Emotionen geleitet werde. Somit sei die Aussage, wir leben in emotionalen Zeiten, nicht exklusiv für die heutige Zeit zutreffend.
Gefühle wandeln sich
„Emotionen durchlaufen immer wieder einen Veränderungsprozess“, sagt Ute Frevert und spricht von einer Legitimation der Gefühle: „Ich hoffe, die Ausstellung kann darauf aufmerksam machen, dass sich zwischen 1919 und 2019 einiges verändert hat, was das Anerkennen menschlicher Emotionen betrifft.“ Mittlerweile werde zum Beispiel die Liebe unter Homosexuellen vor dem Gesetz anerkannt. 1994 kam es zur Abschaffung des Paragraphen 175, der Homosexualität untersagte. Seit Oktober 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten.
Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, bestätigt den wandelbaren Charakter von Gefühlen. Sie spricht die Gefühle des Einzelnen an, die sich schnell und stark verändern können: „Wir erleben gerade eine Konjunktur von Gefühlen, vor allem Wut und Hass werden immer stärker.“
Ausstellung trifft den Zeitgeist
Kaminsky spricht von dem großen Erfolg, den die Ausstellung bereits vor der Eröffnung hat: „Mit dem Wagnis, Emotionen in der Geschichte zu erläutern, sind wir auf sehr große Resonanz gestoßen.“ Über 2000-mal wurden die Poster bestellt. Sie werden in verschiedene Sprachen übersetzt und weltweit verschickt, es gäbe Abnehmer in Südamerika, sagt Andreas Görgen.
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studiert Sozialwissenschaften und war im Frühjahr 2019 Praktikantin beim vorwärts-Verlag.