100 Jahre Bauhaus: Modernes und preiswertes Bauen für das Volk
Im Gründungsjahr des Bauhauses in Weimar 1919, im Jahr der Novemberrevolution, reihten sich die Künstler ein in soziale Bewegungen. Auch Walter Gropius als Direktor des Bauhauses – man denke an sein Denkmal für die Märzgefallenen – nahm aktiv daran teil.
Wie das Bauhaus nach Dessau kam
Die Welt der Künste stand Kopf, die Distanz zum Bürgertum war da, und ein Sozialdemokrat aus Dessau, Heinrich Pëus, schrieb, dass man die vielgeschmähte „Kathedrale des Sozialismus“, dieses Symbol des Bauhauses, interpretieren könne als: Wohnungsbau für das Volk. Die Sozialdemokraten waren interessiert. Und Pëus, der die anhaltische Sozialdemokratie in Dessau führte, war maßgebend am Umzug des Bauhauses nach Dessau beteiligt. Der Grund für den Fortzug aus Weimar war politisch: 1924 bildete sich in Thüringen eine rechts-nationale Landesregierung, toleriert von der NSDAP. Sie kürzte die Mittel des Bauhauses um 50 Prozent. Dessau dagegen war eine Hochburg der SPD.
In der Koalition mit der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) unter dem Oberbürgermeister Fritz Hesse trieb Pëus die Umzugspläne voran: „Wenn Ihr es nicht macht, machen wir es!“ Das Bauhaus mit seinem künstlerischen Programm auf sozialer Basis kam so nach Dessau.
Hausbau aus der Fabrik
Warum entschied sich Gropius für Dessau? Er hatte nicht nur mit Hesse und Pëus gesprochen, sondern auch mit Hugo Junkers, dem berühmten Flugzeugindustriellen in der Stadt. Ihm hatte er den Bau einer gemeinsamen „Hausfabrik“ vorgeschlagen. Gropius wollte den Wohnungsbau industrialisieren. Häuser der Zukunft sollten in der Fabrik entstehen, an der Baustelle montiert werden. Aber darüber kam mit Junkers eine Verständigung nicht zustande. Gropius war enttäuscht, aber nicht entmutigt. Er installierte jetzt in Dessau-Törten eine „Fabrik im Grünen“. Alle Baumaterialien kamen aus den Kies- und Sandgruben der Baustellen, ein Kran auf Schienen bewegt, signalisierte den Auftritt der Technik im Bauen.
Genau das hatte Pëus sich vom Bauhaus erhofft: „Wir Sozialdemokraten haben das Bauhaus mit hierher geholt, und zwar, weil wir die Gedanken, die das Bauhaus vertritt, billigen. Welches sind diese Gedanken? Es ist vornehmlich der Gedanke, dass man auch den Hausbau den modernen Produktionsmitteln, der modernen Herstellung von Massenartikeln mit Hilfe der entwickelten Hand, mit Hilfe der Maschine anpassen muss. Es muß dahin kommen, dass man das Haus in all seinen Teilen in der Fabrik massenweise herstellt und dann aus seinen Einzelteilen an Ort und Stelle montiert.“ Der Wohnungsbau für bezahlbare moderne Eigenheime begann.
Sozialen Wohnungsbau reformieren
Pëus aber beobachtete das Baugeschehen in Törten genau. Und als die ersten 60 Häuser standen, kritisierte er: „Es sollen an den zu erbauenden Häusern mancherlei besondere Hausteile Verwendung finden, aber von verbilligender Maschinenarbeit ist noch keine Rede.“ Das Budget einer Arbeiterfamilie war überfordert, und Pëus suchte parallel zum Bauhaus nach weiteren Architekten, die den sozialen Wohnungsbau reformieren wollten. Der Anhaltische Siedlerverband, den er selbst mit gegründet hatte, trat in Aktion. Im Auftrag des Verbandes übernahm eine „zweite Fraktion der Moderne“ Bauaufträge. Adolf Loos war ihr konzeptioneller Kopf („Der Garten ist das primäre, das Haus das sekundäre“), sein Schüler Leopold Fischer der Planer, und Martin Wagner und Bruno Taut kamen mit ihren Erfahrungen aus dem „Neuen Berlin“. Eine Moderne aus Wien und Berlin war jetzt am Werk. Und mit der Dessau-Ziebigk-Siedlung hat sie eine bemerkenswerte Alternative zu Törten geschaffen.
Davon ist heute in Dessau, das man in den 1920er Jahren ein „Freilichtmuseum des Siedlungsbaus“ genannt hatte, nicht mehr viel zu sehen. Das „Alleinstellungsmerkmal Bauhaus“ hat bewirkt, dass Besucher in Dessau nicht einmal von der Dessau-Ziebigk-Siedlung erfahren, obwohl sie nur wenige hundert Meter von den Meisterhäusern entfernt ist.
Als 1928 die Kredite für die Baufinanzierung verteuert wurden, die Krise da war, verließ Gropius Dessau, und an die Stelle von Pëus‘ Eigenheimen traten die Laubenganghäuser des zweiten Bauhausdirektors Hannes Meyer. Ob Loos‘ Vermächtnis gilt, dass nicht das Haus, sondern der Garten das Primäre sei, das wird die Zukunft erweisen.
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ist Designhistoriker, Bauhaus-Experte und Autor des Buchs „Bauhaus, Junkers, Sozialdemokratie: Ein Kraftfeld der Moderne“