100. Geburtstag: Wie Katharina Focke die Europäische Union prägte
imago/Sven Simon
,,Die Dame ist nicht fürs Feuer‘‘, schrieb eine Wochenzeitung 1984 über Katharina Focke, die für die SPD-Bundesliste zur zweiten Direktwahl zum Europäischen Parlament anführte. Der Gebrauch dieses Theatertitels sollte beschreiben, dass diese Spitzenkandidatin mehr war als eine Verlegenheitslösung. Tatsächlich war die Spitzenkandidatur einer Frau für eine nationale Wahl überraschend, selbst Landtagswahlen waren bis 1984 stets eine Männerdomäne gewesen. Nach Willy Brandt, der 1979 beim Start der Direktwahlen zum Europäischen Parlament (EP) die SPD-Bundesliste angeführt hatte, wollte die SPD nun mit einer Frau an der Spitze ein Zeichen setzen.
Eine Selbstverständlichkeit war die Nominierung Katharina Fockes nicht. Obwohl Willy Brandt die Direktwahl schon 1979 für die Frauenförderung genutzt hatte, indem er für Frauen ein Viertel der sicheren Plätze auf der SPD-Bundesliste durchgesetzt hatte, war eine Nummer Eins für eine Frau kein Selbstläufer. Gegen interne Überlegungen, die aus der patriarchalischen Tradition der SPD stammten, setzten sich die SPD-Abgeordneten im EP durch, die eine eigene Vertretung verlangten. Sie wollten keinen Ex-Bundesminister, sondern eine Vertretung aus dem noch jungen europäischen Parlamentarismus.
Das Übernationale als Lebensthema
Katharina Focke wurde am 8. Oktober 1922 in Bonn geboren. Ihre Eltern, der Publizist Ernst Friedländer und die Ärztin Franziska Schulz, waren republikanisch orientiert. Ernst Friedländer engagierte sich schon in der Weimarer Republik für die europäische Integration. Die politische Haltung der Eltern und die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten beginnende Verfolgung der jüdischen Mitbürger*innen ließ die Familie schon 1931 das Exil wählen. Die Schweiz und schließlich Liechtenstein hießen die Exilorte.
Katharina Focke bestand die schweizer Matura in Davos und startete ein Studium in Zürich, das sie in Hamburg und Oklahoma fortsetzte. 1954 promovierte sie in Hamburg bei Siegfried Landshut. Mit ihrer Dissertation ,,Das Wesen des Übernationalen‘‘ schlug sie ihr Lebensthema an: Die Aufgabe nationaler Souveränität zugunsten übernationaler Organisationen.
Dem Abschluss des Studiums folgten Jahre der Mitarbeit in Organisationen, die für die europäische Integration warben. Ihr Mann Helmut Focke war Generalsekretär des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung. Nach seinem frühen Tod 1961 wechselte sie in hauptamtliche Tätigkeit für ein europäisches Bildungswerk.
Ein Weichensteller aus NRW
Die Weichenstellung für Katharina Fockes Weg in politische Mandate übernahm der SPD-Politiker Heinz Kühn, der bei seinem Aufstieg in der NRW-SPD stets auf Talentsuche war. Er bewegte Katharina Focke zu Vorträgen in der Kölner SPD und ebnete ihr den Weg zu einer Landtagskandidatur 1966. Mit Heinz Kühns Wahlsieg schaffte auch sein Protegé das Unmögliche: Katharina Focke gewann ihren Wahlkreis direkt. Der Direktgewinn des Wahlkreises blieb auch beim Wechsel in Bundestag 1969 ihr Markenzeichen. Mit ihrem unorthodoxen Wahlkampfstil fand sie sogar bundesweite Beachtung.
Die Bundespolitikerin Katharina Focke machte schnell Karriere. Sie arbeitete als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, wo sie Akzente in der Europapolitik für das Gipfeltreffen in Den Haag setzte. 1972 berief sie Willy Brandt zur Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit. Als nach dem Rücktritt Brandts 1974 Helmut Schmidt neuer Bundeskanzler wurde, zeichnete sich ihr Rückzug aus dem Ministerium ab. 1976 kehrte sie nicht in die Regierung Schmidt zurück.
„Katharinas Circus“
Katharina Focke suchte sehr bewusst den Wechsel in die Europapolitik. Als sich 1976/77 die erste Direktwahl zum EP abzeichnete, meldete sie ihre Kandidatur an. In der von Willy Brandt durchgesetzten Mischung der SPD-Bundesliste gehörte sie zum Frauen-Viertel, aber auch zu den erfahrenen Europapolitiker*innen, die neben zahlreichen Jungpolitiker*innen die Liste prägten. Im EP erfüllte Katharina Focke eine Schamierfunktion zwischen alten und jungen SPD-Europaabgeordneten.
Der für Katharina Focke entworfene Wahlkampf zeichnete sich durch ungewöhnliche Aktionen aus, die das spezielle Thema ,,Europäische Integration‘‘ wahrnehmbarer, erfahrbarer machen wollten. Mit ,,Katharinas Circus‘‘ sollte das im Circus notwendige Zusammenarbeiten von Menschen aus unterschiedlichen Nationen als Beispiel die mögliche Interpretation vorgeführt werden: Gemeinsamkeit kann erfolgreich sein, hieß die Botschaft. Für das Gleichstellungsthema, das von der EP aufgegriffen worden war, warb sie mit einem Straßenwahlkampf: ,,Mit Katharina Focke auf Touren.‘‘
Martin Schulz den Weg geebnet
In den Jugendjahren de europäischen Parlamentarismus entfaltete eine Spitzenkandidatur nach der Wahl keine besonderen Wirkungen. An eine Mitgliedschaft in der Kommission war nicht zu denken. Obwohl die deutschen Kommissare in diesem Zeitraum nicht mit Kompetenz glänzten, schickte die Regierung Helmut Kohls stets Mittelmaß nach Brüssel, dabei hätte die regierungserfahrene, polyglotte Katharina Focke unter den damals zwei Kommissaren aus der Bundesregierung stets bella figura gemacht.
Bei der Direktwahl 1989 kandidierte Katharina Focke nicht erneut. Sie hatte jedoch den Weg für die Spitzenkandidatur aus den Reichen der Europaabgeordneten geöffnet. Für Klaus Hänsch und Martin Schulz ebnete sie den Weg.
Katharina Focke starb am 10. Juli 2016 in Köln.
war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.