Zu wenig Jugend, zu wenige Frauen: Was Parteien daran ändern können
Dirk Bleicker
Wir haben bald 10-Jähriges – die SPD und ich. Damit bin ich als 27-Jährige in doppelter Hinsicht in der Minderheit: der Frauenanteil liegt bei 32 Prozent und lediglich 11 Prozent der Parteimitglieder sind jünger als 35 – dafür sind über die Hälfte jenseits der 60. Die 16.000 Neumitglieder ändern daran nur wenig. Dabei ist es wichtig in der SPD diejenigen einzubinden, die von sozialdemokratischen Werten profitieren – auch um langfristig neue Kader zu fördern. Die Bilanz ist jedoch: zu wenig Jugend, zu wenige Frauen. Warum ist das so und was kann man dagegen tun?
Junge Menschen brauchen klares Leadership und Gemeinschaftsgefühl
Wer in der Politik etwas ändern will, braucht Geduld und Ausdauer. „Politik machen“ ist ein langwieriger Prozess. Aber nicht jedes Parteimitglied muss in die Gremienarbeit. Parteien leben davon, dass ihre Mitglieder eine Überzeugung teilen und sich engagieren. Auf junge Menschen thematisch ausgerichtete Freiwilligenevents, die sowohl zur Teambildung und Identifikation als auch zur politischen Bildung beitragen, könnten ein wichtiger Beitrag dazu sein. Und nein, business as usual im Ortsverein reicht nicht aus. Junge Menschen sind dynamisch und begeisterungsfähig – wenn man sie zeitgemäß in ihrer Lebenswelt abholt. Das bedeutet auch, dass man sich mit neuen Diskussions- und Medienplattformen auseinandersetzen muss.
Die Verantwortung für die Begeisterung bei den Mitgliedern liegt bei den Vorsitzenden – ob auf Orts- oder Bundesebene, ist egal. Kluge Köpfe, die ein Interesse daran haben, dass sich politischer Nachwuchs entwickelt und die Werte der Sozialdemokratie auch noch in 30 Jahren verteidigt, sind wertvoll. Die knapp 8.000 Neumitglieder unter 30 sind kein Garant für den nachhaltigen Erfolg der SPD. Der Schlüssel kann vor allem in modernem Leadership liegen – weniger Hierarchiedenken, mehr Mentoring und Austausch. Das ist, was Politik greifbar macht und motiviert, dabei zu bleiben.
Frauen haben einen anderen Zugang zur Politik
Ob aus dem Bundesfamilienministerium oder dem Allensbach Institut – eine Reihe von Publikationen zeigt, dass weniger Frauen als Männer an Politik interessiert sind. Zwar holen die Damen mit dem Alter auf, aber bei der Bereitschaft, ein politisches Amt zu bekleiden, oder beim Politikwissen klafft noch immer eine Lücke. Heißt das, dass Frauen unpolitischer sind? Nein, Frauen haben lediglich einen anderen thematischen, biografischen und praktischen Zugang zu politischer Aktivität.
In Nichtregierungsorganisationen, die sich mit politischen Themen wie Umwelt- und Klimaschutz oder Menschenrechten befassen, liegt der Frauenanteil bei 80 Prozent. Auch junge Mädchen scheuen die Gremienarbeit nicht: Schülerinnen besetzen häufiger Sprecherämter und sind insgesamt häufiger engagiert als Jungen. Thematisch zeigen Frauen ein überdurchschnittliches Interesse an Gleichstellungsthemen wie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder an Jugend- und Familienschutz. Dass diese Themen jedoch erst ab einem bestimmten Alter greifbar und erlebbar werden, erklärt weshalb Frauen erst später in die Politik einsteigen.
Vereinbarkeit von Leben und politischem Engagement
Wenn man richtigerweise versucht, Unternehmen familienfreundlicher, jünger und attraktiver für Frauen zu gestalten – warum setzt man nicht auch bei der eigenen Parteistruktur an? Sobald Kinder da sind, ziehen sich Frauen häufig zurück. Mit dem Wiedereinstieg in das Berufsleben erfolgt die Doppelbelastung, wobei Frauen noch immer einen größeren Teil Hausarbeit und Erziehung übernehmen. Die Zeit für Engagement in einem politischen Amt haben dann die wenigsten. Dass Betreuungsangebote auf Parteiveranstaltungen angeboten werden, ist zwar ein wichtiger Schritt, jedoch kollidieren Familienmodelle mit dem gängigen Modus in Parteistrukturen: der Ochsentour.
Ähnliches gilt für junge Berufseinsteiger in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Natürlich – es bedarf Zeit, um Vertrauen und politischen Einfluss zu bilden. Aber darüber hinaus spielen sowohl die Ansprache mit erlebbaren Themen als auch die Durchlässigkeit für engagierte und fähige junge Leute eine wesentliche Rolle bei der Parteibindung. Menschen bleiben bei Organisationen und Parteien, wenn sie sich mit ihnen identifizieren. Wenn Parteistrukturen jedoch in ihrer Organisationsdynamik hinterherhinken und nur derjenige sich durchsetzt, der das beste Sitzfleisch hat, dann schreckt das vor Engagement ab.
ist Autorin und Beraterin zum Thema "Zukunft der Arbeit". Sie beobachtet die Berliner Politikwelt und stellt sich der Debatte, gerne auch digital auf Twitter @alicegreschkow