Debatte

Wir sind noch lange nicht fertig! Wo der Feminismus Lücken hat

Feminismus ist hip. Ob in der Musik, der Politik oder der Wirtschaft – überall schießen selbsternannte Feministen wie Pilze aus dem Boden. Sieht man jedoch genauer hin, fällt schnell auf, wo der Feminismus seine Lücken hat.
von Reyhan Şahin · 17. Oktober 2017

Heutzutage ist es leicht geworden, Feminist*in zu sein. T-Shirts mit „I’m a feminist“-Slogans überfüllen die Abteilungen von Mango, H&M und Zara. Ein neuer weißer Pussyhat-Feminismus schwappt aus den USA rüber, Beyoncé und andere Popsängerinnen bekennen sich als Feministinnen. Kurzum:  Ein paar Mausklicks und fertig ist der „Hashtag-Feminismus“.

Feministische Inhalte kritisch hinterfragen

Gerade jetzt in Zeiten, in denen Feminismus in Mode geraten ist und Feminist*innen medial ernannt wie Pilze aus dem Boden schießen, sollten feministische Perspektiven und Inhalte kritisch hinterfragt und überdacht werden. Dem klassischen „weißen“ Feminismus, der ewige Jahre die Debatten regierte, folgen nun junge, inkludierende, antirassistische Postfeminismen, die andere Frauen und Queers, wie etwa muslimische Frauen einbeziehen.

Kopftuchträgerinnen sprechen für sich, endlich wird Sexualität nicht ausschließlich als Provokation abgefertigt, sondern als Mittel zur Veränderung in Richtung selbstbestimmter weiblicher Sexualität verstanden. Ziemlich gute Ansätze, wenn man die Lage mit dem Stand von vor zehn Jahren vergleicht. Doch nun ist es an der Zeit, diese Diskurse genauer hinzuschauen, Lücken zu entdecken und Einseitiges zu überwinden.

Islamischer Feminismus und das Kopftuch

Islamischer Feminismus – mit dem Kopftuch gekoppelt scheint es ein besonders massentaugliches exotisches Oxymoron für Medien zu sein. Auf der einen Seite haben wir Feministinnen á la Alice Schwarzer, Necla Kelek und „Femen“, die das Kopftuch als Flagge des Islamismus abfertigen und ihr emanzipiertes Selbst als Gegenbeispiel inszenieren. Großen Zuspruch bekommen sie vor allem von antifeministischen Rechtspopulist*innen.

Auf der anderen Seite haben wir Kopftuch tragende Bloggerinnen, die im Mantel des Feminismus ausschließlich das Kopftuch schönreden, entpolitisieren und den Islam verteidigen. Die Auseinandersetzung mit patriarchalischen Bedeutungsvarianten des Kopftuchs bleibt dabei auf der Strecke. Unterstützt werden sie von weißen linksfeministischen Frauen, die offen für Islamtoleranz, Queerness und Gender sind.

Aufgrund fehlender Kenntnisse über den islamischen Feminismus bleiben jedoch politisch-islamische Zugehörigkeiten oder tatsächliche Bedrängnisse von unterschiedlichen Musliminnen unsichtbar. So sind etwa, um nur einige zu nennen, laizistische, alevitische, kurdische oder Schwarze Frauen und Frauenbewegungen seit Jahren nicht Teil dieser Debatten.

Sexpositiver Pop- und Hip Hop-Feminismus

Theoretisch verstehen mehr Menschen als früher, was mit freiwilliger und selbstbestimmter Sexualität gemeint ist. Aber praktisch ist demonstrative weibliche Sexualität – vor allem wenn sie personifiziert als Frau oder Queer erscheint – immer noch ein großes gesellschaftliches Tabu. Der sexpositive Gebrauch von sexualisierter Sprache ist ein eindeutiges Ausschlusskriterium, ebenso für viele bürgerliche weiße und konservative Musliminnen.

Das Thema Prostitution und Sexarbeit spaltet wie nie zuvor die feministischen Debatten. Bereiche wie Pop- oder Hip Hop-Feminismus stecken in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Bislang sind es ausschließlich Forscher*innen, die sich letztgenannten Themen mit einer bevormundenden, unfundierten Brille nähern.

Ein medienkonformer Salonfeminismus hilft nicht weiter

Die Aneignung von mehr Wissen über feministischen Theorien und Traditionen sowie ein kritischer, gründlicher, interfeministischer Austausch können die Debatten weiterentwickeln und den Blick auf neue feministische Bereiche ermöglichen. Verkrustete Fronten innerhalb unterschiedlicher feministischer Lager können durch offene Dialoge aufgebrochen werden.

Die Rolle der Medien darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden, da sie bewusst wie unbewusst FemStar-Setting betreibt und einen medienkonformen Salonfeminismus schafft Ein leichtfertiger Salonfeminismus scheint heute in allen Ebenen die Debatten zu beherrschen. Weiter hilft er in der Debatte nicht.

Autor*in
Reyhan Şahin

ist promovierte Sprachwissenschaftlerin, Moderatorin und Rapperin. Unter dem Künstlernamen „Lady Bitch Ray“ hat sie mehrere Musikalben veröffentlicht.

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