Debatte

Wie persönliche Beziehungen das deutsch-russische Verhältnis verändern können

Zwischen Deutschland und Russland existieren starke Bande. Rund 2,5 Millionen Russlanddeutsche leben in der Bundesrepublik. Viele weitere beherrschen die russische Sprache. Unsere Außenpolitik sollte diesen Glücksfall nicht ignorieren, sondern nutzen.
von Dmitri Geidel · 2. Februar 2017
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Vor einer Woche wurde ich von Schülern einer Berliner Oberschule zu einer Diskussionsrunde eingeladen. Nach dem Gespräch gaben sie mir eine Führung durch ihr Schulgebäude. Unterwegs trafen auf wir in eine Austauschklasse aus Irkutsk. Ich fragte die Schüler kurz, wie ihnen Berlin gefällt und warum sie Deutsch lernen. Sie erzählten mir, dass es den Austausch zwischen den Schulen schon mehrere Jahre gebe und von den Lehrkräften selber initiiert worden sei.

Deutschland und Russland sind persönlich miteinander verbunden

Als im Sommer 2014 die Spannungen zwischen Russland und dem Westen einen neuen Höhepunkt erreichten, beobachteten die Russlanddeutschen diese Entwicklung sehr genau. Ein Zentrum des russischen Lebens in Berlin ist der „Mix Markt“ in Marzahn – ein russischer Supermarkt. Gegenüber liegt ein Reisebüro, das auf die Länder der ehemaligen Sowjetunion spezialisiert ist. Selbst in der heißesten Phase des Ukraine-Konflikts gab es dort lange Schlangen. Die Leute redeten natürlich über die Ukraine, aber auch über ihre Freunde und Verwandte, die sie besuchen wollten und was man ihnen für Geschenke mitbringen könne.

Diese Szenen verdeutlichen: Deutschland und Russland sind durch persönliche Bande miteinander verknüpft. Gerade im Berliner Stadtteil Marzahn wird das deutlich.

Gut integriert mit engen Verbindungen in die alte Heimat

Seit 1950 sind mehr als zwei Millionen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen, der allergrößte Teil davon in den 90er Jahren. Viele haben sich in Marzahn niedergelassen. Diese Gruppe ist gut integriert; die  meisten haben allerdings noch intensive Verbindungen in die alte Heimat.

Wenig beachtet von der Öffentlichkeit gibt es einen zweiten Verbindungsstrang mit Russland: Fast alle ehemaligen DDR-Bürger haben Russisch in der Schule gelernt und viele sogar in der damaligen Sowjetunion studiert und gearbeitet. Auch wenn DDR und Sowjetunion nicht mehr existieren: Das Interesse an Sprache und Kultur blieb bestehen.

Zivilgesellschaftlicher Dialog am Küchentisch

Diese Verbindungen wirken in sehr unterschiedlicher Weise. So haben engagierte Lehrer vor diesem Hintergrund einen Schüleraustausch mit ihrem ehemaligen Studienland organisiert. Durch den Besuch von Verwandten entsteht ein zivilgesellschaftlicher Dialog, dessen Tiefe staatliche Programme nie erreichen können. Diese Wege können sich auch überkreuzen: Nicht wenige Studierende aus der DDR haben in der Sowjetunion einen Lebenspartner gefunden, der dann nach Deutschland mitkam. Viele haben ihre Kenntnisse der Russischen Sprache später in die Wirtschaft eingebracht. 

Diese Verbindungen wurden historisch durch gezielte staatliche Entscheidungen erzeugt – die Förderung der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in der DDR und die Aufnahme von Russlanddeutschen und jüdischen Auswanderern in der Bundesrepublik. Ob das Verhältnis zu Russland gerade angespannt oder freundschaftlich ist: Diese Verbindungen werden noch lange bestehen bleiben.

Merkel und Putin werden nicht ewig regieren

Für die deutsche Außenpolitik ist das ein Glücksfall. Millionen Menschen sehen in Russland nicht nur einen beliebigen Akteur auf der internationalen Bühne, sondern sie verbinden das Land eng mit ihrer persönlichen Biographie. Diese Menschen sind nicht blind für die Probleme Russlands – Korruption, das Verhalten in der Ukraine und die gegenwärtige Wirtschaftskrise. Sie nehmen Anteil an dem, was in Russland passiert.

Sie wissen auch: Merkel und Putin werden nicht ewig regieren. In zehn Jahren sind andere Staatschefs an der Macht, aber die Verbindungen nach Russland werden bleiben. Viele Menschen haben daher ein langfristiges Interesse an einer positiven Entwicklung mit Russland. Durch ihr Engagement im privaten und öffentlichen Bereich tragen sie neue Ideen in die russische Gesellschaft.

Wir brauchen eine Strategie der Einbindung

Die Politik sollte diese Verbindungen unterstützen. Wir brauchen Visa-Erleichterungen für die Einreise russischer Staatsbürger nach Deutschland, Förderungen von Schüleraustauschen und von Russischunterricht. Perspektivisch könnten wir auch ein Deutsch-Russisches Jugendwerk einrichten und das Erasmusprogramm auf Russland mit seiner vielfältigen Hochschullandschaft ausweiten.

Langfristige Kooperation mit Russland erfordert eine Strategie der Einbindung. Das bedeutet nicht, dass Deutschland alle seine Werte und Interessen aufgeben muss. Europäische Einheit, Frieden und territoriale Integrität von Staaten sind unantastbar. Allerdings bleibt Russland der größte Nachbar der europäischen Union und die vielen Deutschen mit Nähe zu Russland sind eine Brücke für künftige Zusammenarbeit.

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Dmitri Geidel

ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf.

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