Debatte

Wie Parteien für Jugendliche attraktiver werden

Die Parteien sollten im Alltag der Jugendlichen präsent sein, sagt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Nach dem Vorbild der Frauenquote sollten sie über eine Jugendquote diskutieren – und politisch interessierte junge Leute aus dem Schmollwinkel holen.
von Klaus Hurrelmann · 4. April 2017
Schulklasse
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Die Parteien sollten alles tun, um Einblick in ihre Arbeit zu gewährleisten und glaubwürdig demonstrieren, dass sie an Jugendlichen als Mitgliedern und Wählern ebenso interessiert sind wie an den Themen, die sie beschäftigen. In einem ersten Schritt sollten sie sich darum bemühen, im Alltag der Jugendlichen ständig präsent zu sein. Dazu sollten sie zum einen die Kanäle der politischen Kommunikation nutzen, die Jugendlichen nahe liegen, also über die elektronischen Netzwerke und Portale Diskussionen und Austausche anbieten – möglichst interaktiv, sodass Jugendliche eigene Anliegen vortragen und mit real existierenden Personen diskutieren können.
 
Zum Zweiten sollten sie regelmäßig öffentliche Veranstaltungen zu Themen durchführen, die Jugendliche interessieren. Das kann in Zusammenarbeit mit Vereinen, Verbänden, Medien und Schulen geschehen. Parteien sollten außerdem wie andere soziale Einrichtungen Praktika für Jugendliche anbieten, sodass sie dort konkret erfahren können, wie die Arbeit von innen aussieht. Auch wäre zu überlegen, ob ein „Freiwilliges Soziales Jahr“ in den Organisationen von Parteien und den ihren zuarbeitenden politischen Stiftungen eingerichtet werden kann.

Schulen sollte bei der Arbeit der Parteien eine Schlüsselrolle zukommen

Schulen sind der Ort, an dem sich alle Jugendlichen aufhalten, und deshalb sollten an ihnen nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes Foren mit Vertretern der Parteien – immer mehreren von ihnen – stattfinden, die sich strittig mit wichtigen Themen auseinandersetzen. Diese Foren könnten mit dem gerade laufenden politischen Unterricht verknüpft werden. Die Moderation hat eindeutig bei den Lehrkräften zu liegen, aber die strikte Trennung von Schule und Politik hat sich nicht bewährt.
 
Jugendliche sind ein ungeduldiges Publikum. Sie sind frustriert von der Komplexität von Entscheidungen und scheinbar endlosen Debatten im Vorfeld. Es leuchtet ihnen nicht ein, warum das alles so lange dauert. Sie haben wenig Gelegenheit gehabt zu lernen, Kompromisse auszuhandeln und bei Mehrheitsentscheidungen zurück zu stecken.

Die Parteien sollten die Machbarkeit von Politik anschaulich demonstrieren

Parteien sollten sich der unbequemen Aufgabe stellen zu demonstrieren, wie man sich eine politische Meinung bildet und nach ihr lebt. Junge Leute wünschen die Erfahrung der politischen (Selbst-)Wirksamkeit. Sie wollen spüren, dass sie Dinge verändern können, aber die Arbeitsweise der Parteien ermöglicht das nach ihrer Einschätzung heute nicht. Sie wollen Einfluss darauf haben, was die Regierung macht, und da gilt das Gleiche. Weil sie die Machbarkeit nicht nachvollziehen können, wenden sie sich von den Parteien ab und steigen aus deren System aus.

Die Parteien sollten sich offen als Lernstätten und als Bildungsinstitutionen verstehen, strukturierte Weiterbildung anbieten und jungen Leuten zeigen, wie ein regelgeleitetes Streitgespräch abläuft, wie man Diskussionen leitet, Veranstaltungen moderiert und Events managt. Und natürlich auch, wie gravierende Zukunftsprobleme entscheidbar gemacht und dann gelöst werden. Nur so kann es ihnen gelingen, glaubwürdig politisch interessierte und leidenschaftliche junge Leute anzuwerben und sie zu ermuntern, aus ihrem Schmollwinkel herauszutreten.

Die Parteien sollten sich selbst verpflichten, jugendliche Mitglieder anzuwerben

Die große Distanz zwischen Jugend und Parteien hat handfeste demografische Gründe. Das Durchschnittsalter der Mitglieder der etablierten Parteien liegt heute bei 60 Jahren. Nur 8 % der Mitglieder der Parteien sind unter 30 Jahre alt. Wer also als junger Mann oder als junge Frau in eine Partei eintritt, der sieht sich generationenbezogen in einer absoluten Minderheit.
 
Die Parteien sollten nach dem Vorbild der Frauenquote über eine Jugendquote bei der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten diskutieren. Statt 8 % sollten zumindest 20 % Mitglieder unter 30 Jahren angestrebt werden. Wenn die Parteien sich um junge Leute bemühen müssen, werden sie diese auch anzusprechen versuchen, sich auf ihre Themen und ihren Lebensstil einlassen. Dann werden sie Mittel und Wege finden, sie für eine Mitgliedschaft zu gewinnen. Und umgekehrt wird die Zurückhaltung der jungen Leute schwinden, wenn sie keine absolute Minderheit mehr in Parteien sind. Nur dann, wenn sich in den Parteien in einflussreicher Position auch junge Menschen befinden, wird sich die Distanz abbauen lassen. Nur dann werden junge Leute das Gefühl haben, das sie wirksam etwas verändern können.

Autor*in
Klaus Hurrelmann

ist Jugendforscher. An der Berliner Hertie School of Governance ist er Professor of Public Health and Education.

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