Wie Gesundheitsdaten unser Leben bestimmen
Thomas Trutschel/photothek.net
„Künftig müssen Sie nicht mehr aus dem Haus gehen, um ärztlichen Rat einzuholen. Sie wählen einfach die Nummer Ihres Gesundheitsdienstleisters, schicken ihm ein Foto oder Video vom entzündeten Ohr Ihres Kindes und ein Computer wertet das Bild aus und erteilt sagt ihnen, was Sie jetzt tun sollten“, so warb H&HN Daily, ein Internetmagazin für die Entscheider im Gesundheitswesen im vergangenen Dezember. Dank des Maschinenlernens, so H&HN Daily, sei der Computer heute besser im Erkennen von Mustern als der Arzt. Die Handy-Sprechstunde könnte bald den Gang zum Arzt ersetzen.
Unerwähnt lässt das Internetmagazin jedoch die Risiken und Nebenwirkungen von derlei Dienstleistungen: So hängt unsere Leistungsfähigkeit wesentlich von unserer Gesundheit ab. Wer leistungsfähig ist, ist zumindest theoretisch in der Lage, die Gewinn- und Verlustrechnung seines Arbeitgebers aufzupolieren. Wer krank ist, stellt eine Bedrohung für Arbeitgeber und Krankenkassen dar. Und für Kreditgeber sowie Investoren kann die Erkrankung eines Geschäftspartners deutliche finanzielle Auswirkungen haben: Nachdem 2004 bekannt geworden war, dass der mittlerweile verstorbene Steve Jobs krankheitsbedingt einen Monat nicht arbeiten werde, sank der Aktienkurs des Unternehmens um 2 Prozent. Bei Apples damaligen Börsenwert von 11 Milliarden Dollar entsprach das immerhin 220 Millionen Dollar.
Datenhandel ist ein wachsendes Geschäft
Anlass zur Sorge haben aber nicht nur die Konzernlenker – der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags erkannte 2006: „Wirtschaftsauskunfteien (u.a. Schufa)“ sammelten „Daten für die Bonitätsbewertung“ von Kunden – neben einem Dutzend weiterer Parameter wurde ausdrücklich der Gesundheitszustand genannt. Das „SicherheitsWiki“ der Münchener „Network7 Beteiligungsgesellschaft mbH“ behauptet, Bewerber könnten legal „vor der Einstellung und Unterzeichnung des Arbeits-/Anstellungsvertrages“ überprüft werden – auch hier tauchen „Gesundheitschecks, Alkohol- und Drogentests“ wieder auf.
Jeder, mit dem wir Geschäfte abschließen, will wissen, ob wir gesundheitlich in der Lage sind, unsere rechtlichen Verpflichtungen aus dem Geschäft zu erfüllen: Arbeitgeber, Autoverkäufer, Bauunternehmer, Einzelhändler, Krankenkassen, Kreditinstitute, Telekommunikationsanbieter, Vermieter, Versicherer. Der Branchenverband Bitkom rechnet 2016 mit einem weltweiten Marktvolumen in Höhe von 160 Milliarden Euro, die im Datenhandel umgesetzt werden.
Ein Datenprofil ist einmalig wie ein Fingerabdruck
Die Attraktivität der Daten ist der eine Aspekt – ihre Einmaligkeit der andere; die Münchener Datarella GmbH schreibt auf ihrer Internetseite: „Eine Anonymisierung, z. B. dadurch, dass man die Userkennung oder die IP-Adresse löscht, ist nicht möglich. Wie ein Fingerabdruck können wir über die Spur identifiziert werden, die wir in den Daten hinterlassen.“
Das funktioniert nicht einmal mehr im realen Leben: Kürzlich wurden dem US-Personalamt Fingerabdrücke von fünf Millionen seiner Beschäftigten gestohlen. Jeder Kriminelle könnte damit jetzt falsche Fährten am Tatort legen.
Das Ergebnis: Gesundheitsdaten sind attraktiv, einmalig und untrennbar mit der Person verbunden. Deshalb zahlen Kriminelle für Krankenakten zehnmal mehr als für gestohlene Kreditkartendaten. Wer seine Hautkrankheiten fotografiert und per Mobilfunk verschickt, muss da wohl schon grenzenloses Gottvertrauen in die Technik – Hard- und Software des Handys, den Mobilfunkdienstleister, sowie dessen Gerätschaften und den Datenspeicher, an den die Daten verschickt werden.
Künstliche Intelligenz, ein Weckruf für Kriminelle?
Und man kann Krankenakten manipulieren – was schließlich zu falschen Medikationen und Therapien führen könnte. Jason Hart vom Krypto-Chip-Experten Gemalto fürchtet, dass sich Angriffe auf die „Datenintegrität“ zur „Cash-Cow“ entwickeln könnte.
Kevin Warwick, Professor von der Englischen The University of Reading fürchtet darüber hinaus, dass sich die Existenz künstlicher Intelligenz zu einem „Weckruf“ für die Kriminalität entwickeln könnte. Nach einer Manipulation von Patientendaten oder der darauf aufbauenden medizinischen Algorithmen könnten sich Hautarztpatienten demnächst wirkungslose oder sogar gesundheitsgefährdende Medikamente kaufen. Auch deren Folgen könnten sich negativ auf die Bonität auswirken.
Lesen Sie auch Teil 2 der Serie „Schöne neue Daten-Welt“ zum Thema „Verkehr“ und Teil 3 zum Thema „Zuhause“.
ist Journalist mit dem Schwerpunkt Internetsicherheit. Er hat das Buch „Vernetzte Gesellschaft. Vernetzte Bedrohungen – Wie uns die künstliche Intelligenz herausfordert“ verfasst.