Debatte

Wie eine neue Entspannungspolitik aussehen könnte

Die Entspannungspolitik Willy Brandts wurde vor dem Hintergrund der Blockkonfrontation des Kalten Kriegs entwickelt. Sie ist auf die heutigen Verhältnisse nicht übertragbar. Dennoch können wir ihre Grundprinzipien nutzen, um den Frieden zu sichern.
von Ute Finckh-Krämer · 7. März 2017
Forderung nach eine Grenzkontrolle durch die OSZE: Sie bietet einen Raum für gemeinsames Handeln bei Problemen, die viele oder alle Mitgliedsstaaten betreffen.
Forderung nach eine Grenzkontrolle durch die OSZE: Sie bietet einen Raum für gemeinsames Handeln bei Problemen, die viele oder alle Mitgliedsstaaten betreffen.

In der militärischen und wirtschaftlichen Blockkonfrontation des Kalten Krieges wurden die Grundprinzipien der Entspannungspolitik entwickelt. Sie basierten auf der Erkenntnis, dass ein heißer Krieg zwischen den Blöcken durch den Einsatz von Atomwaffen im dritten und letzten Weltkrieg enden würde. Ungeachtet der fundamentalen Unterschiede im Regierungs- und Wirtschaftssystem und im jeweils offiziell verkündeten Wertesystem wurde nach Ansatzpunkten gesucht, den „Kalten Krieg“ nicht zu einem „Heißen Krieg“ eskalieren zu lassen. Diese Politik wurde unter gänzlich anderen Bedingungen formuliert. Ich will versuchen, in Ergänzung zu den bisherigen Beiträgen der Debatte auf vorwärts.de, neue Aspekte, die für eine zeitgemäße Dialogpolitik Anknüpfungspunkte bieten könnten, aufzuzeigen.

Die Welt aus der Perspektive des Gegners betrachten

Die Elemente der Entspannungspolitik sind bekannt – von den Ostverträgen Willy Brandts über diverse Rüstungskontrollabkommen und Wirtschaftsverträge bis hin zur Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) mit der Schlussakte von Helsinki. Zwei wichtige Prinzipien spielten dabei eine entscheidende Rolle: die Suche nach gemeinsamen Interessen und die Bereitschaft, die Welt gelegentlich auch mal aus der Perspektive des Gegners zu betrachten. Im KSZE-Prozess spielten blockfreie europäische Staaten (insbesondere Schweden, Finnland, die Schweiz, Jugoslawien, Österreich) eine wesentliche Rolle.

Der Ausbau der KSZE zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) war ein Meilenstein der Beilegung des Ost-West-Konfliktes nach 1990. Nicht verhindern konnte die KSZE/OSZE allerdings eine ganze Reihe von Kriegen und Bürgerkriegen zwischen und in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und der Sowjetunion. Als Ergebnis dieser Kriege gibt es heute eine ganze Reihe von Gebieten in Europa, deren völkerrechtlicher Status umstritten ist. Zu den Traumata des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieges kamen neue hinzu. Teilweise werden auch ältere, z.T. jahrhundertealte Traumata politisch wieder bedeutsam, die in der Sowjetära oder innerhalb Jugoslawiens nicht verarbeitet werden konnten.

Facetten einer neuen Entspannungspolitik

Eine neue Entspannungspolitik kann daher keine bilaterale Politik zwischen der NATO (oder gar nur Deutschland) und Russland sein. Sie muss die Tatsache einbeziehen, dass sich sowohl innerhalb der NATO als auch in den zwischen der NATO und Russland liegenden Staaten die Bedrohungswahrnehmungen erheblich unterscheiden. Genauso unterschiedlich sind die Bewertungen der dramatischen wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks und Jugoslawiens. Teilweise sehen sich ganze Staaten, teilweise zumindest relevante Bevölkerungsgruppen als „Wendeverlierer“.

Die KSZE stellte während des Kalten Krieges einen strukturierten Dialog in drei Themengebieten dar: Sicherheitspolitik, Wirtschaftsbeziehungen, Menschliche Beziehungen. Die Schlussakte von Helsinki war rückblickend betrachtet ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ende des Kalten Krieges. Es bietet sich daher an, unter den heutigen Bedingungen erneut strukturierte Dialoge zu initiieren. Welche gemeinsamen Interessen der Regierungen, welche gemeinsamen Interessen der Menschen in den verschiedenen europäischen und postsowjetischen Staaten können in der aktuellen Situation mit Aussicht auf Erfolg thematisiert werden?

Die Bedeutung der OSZE stärken

Im „gemeinsamen Haus Europa“ besteht ein großes Interesse an Reisefreiheit, sei es für Familienbesuche, sei es aus touristischen Gründen oder zum Lernen und Arbeiten. Es bestehen vielfältige berufliche, familiäre und freundschaftliche Beziehungen zwischen europäischen und postsowjetischen Ländern. Kaum jemand wünscht sich einen Krieg gegen ein Land, in dem Freunde und Verwandte leben – auch dann nicht, wenn im Einzelfall politische Entwicklungen unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert werden. Wirtschaftsbeziehungen, die allen Beteiligten einen Vorteil bringen, stoßen bei den meisten Menschen genauso auf Zustimmung wie akademische und kulturelle Austauschprogramme.

Die Bedeutung der OSZE ist durch die Arbeit der Special Monitoring Mission in der Ukraine vielen Menschen wieder bewusst geworden. Sie bietet einen Rahmen für eine Weiterentwicklung von Rüstungskontrolle und sicherheitspolitischer Vertrauensbildung in Europa, sie bietet einen Raum für gemeinsames Handeln bei Problemen, die viele oder alle Mitgliedsstaaten betreffen. Die Beschlüsse des Außenministergipfels in Hamburg im Dezember 2016 zeigen, in welchen Bereichen ein strukturierter Dialog erfolgversprechend sein könnte. Zum Beispiel beim Thema Terrorismus, beim Thema Flucht und Migration, bei der Förderung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten. Deutschland ist nach dem Vorsitz im Jahr 2016 dieses Jahr noch in der sogenannten „Troika“ und kann den österreichischen Vorsitz bei der Umsetzung der Beschlüsse von Hamburg unterstützen.

Deutschlands besondere Verantwortung

Als Deutsche dürfen wir nicht vergessen, welche Rolle die Erinnerungspolitik im Dialog mit den Staaten spielt, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg überfallen hat. Selbst im Umgang mit den EU- und NATO-Staaten der Zeit vor 1989/90 ist dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen. Hoch brisant sind verschiedene Interpretationen der Geschichte nach wie vor im Umgang mit den östlichen Nachbarstaaten inklusive der Ukraine, Weißrusslands, des Baltikums, Moldawiens und teilweise auch der Balkanstaaten. Auch hier täte ein strukturierter Dialog gut.

Autor*in
Ute Finckh-Krämer

ist SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorstandsmitglied des Bundes für Soziale Verteidigung.

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