Wie die SPD die direkte Demokratie voranbringen kann
„Die Sozialistische Arbeiterpartei fordert als Grundlage des Staates: … Direkte Gesetzgebung durch das Volk.“ Dies stammt aus dem Gothaer Programm, beschlossen auf dem Einigungsparteitag im Mai 1875. Die direkte Demokratie gehört also zum Forderungsgepäck, mit dem die SPD einst aufgebrochen ist.
SPD: die „Demokratie-Partei“
In ihrem Wahlprogramm 2013 nennt sich die SPD die „Demokratie-Partei“ und macht das auch fest an einem klaren Bekenntnis zum bundesweiten Volksentscheid. Vorausgegangen war 2011 ein Parteitagsbeschluss: ein differenzierter, klarer, fordernder Text, der noch kurz vor der Bundestagswahl, im Juni 2013, in Gesetzesform gegossen wurde. Wir waren beeindruckt. Die SPD hatte die größte Demokratie-Baustelle im Land angesprochen: dass die Bürgerinnen und Bürger zwar in den Kommunen und auf Landesebene, aber eben nicht auf Bundesebene direkt mitentscheiden können. Das ist nicht nur demokratiepolitisch peinlich, sondern für das Verhältnis von Wählerschaft und Gewählten nicht gerade förderlich. Jede neue Umfrage bestätigt den beklagenswerten Vertrauensverlust. Wen wundert noch der für eine Demokratie fatale Satz „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“?
Ja, es gibt viele Möglichkeiten und sogar zunehmend mehr, sich einzubringen. Bürger können Leserbriefe und Petitionen schreiben, ihre Belange in Einwohnerversammlungen und Anhörungen artikulieren oder auch demonstrieren gehen. Manche Bürgerbeteiligung ist formal vorgeschrieben, manches wird probiert. Aber wie auch immer, es bleibt im Belieben der Entscheider, ob und wie sie aufnehmen, was Bürger vorbringen. Wie oft erleben Menschen, dass sie sich zwar Gehör verschaffen können, aber nicht wirklich gehört werden?
Brexit: Bürgerbeteiligung von oben
Mit der direkten Demokratie können die Menschen eine Sache verbindlich an sich ziehen, wenn sie dies wollen. Dies wirkt wie ein Damoklesschwert und sorgt dafür, dass mehr mit den Menschen geredet und weniger über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Das macht der repräsentativen Demokratie nichts streitig, sorgt eher dafür, dass sie hält, was sie verspricht und macht sie repräsentativer. Das hat auch die SPD immer vertreten. Nun scheint sie kleinlauter zu werden nach dem Brexit und dem Volksentscheid in Ungarn. Hier offenbare sich, wie manipulierbar das Volk sei, wie anfällig für billigen Populismus.
Aber: Die zitierten Abstimmungen waren von oben angesetzt. Die Regierung bestimmt dann das Thema, legt den Zeitpunkt fest und lässt Alternativen nicht zu. Das ist nicht die direkte Demokratie, die wir in Deutschland kennen und fordern. Die direkte Demokratie gehört in die Hände der Bürgerinnen und Bürger, Regierungen neigen dazu, sie akklamierend allein für ihre Ziele einzusetzen. Und die neuen Rechten, was, wenn die sie nutzen?
Ohne eine wache Zivilgesellschaft geht’s nicht
Das Design der direkten Demokratie entscheidet über ihre Qualität: Notwendig sind ausreichende Fristen, eine Verzahnung mit dem parlamentarischen Verfahren, Infos vor einem Entscheid an alle Stimmberechtigten. Unabdingbar ist eine wache Zivilgesellschaft, die bereit ist, in Auseinandersetzungen zu gehen. Dann ist die direkte Demokratie wenig anfällig für Populismus und kann zur Versachlichung beitragen.
Fatal jedenfalls wäre, wenn die SPD die Forderung nach dem bundesweiten Volksentscheid, die laut Umfragen von rund 70 Prozent der deutschen Bevölkerung unterstützt wird, der AfD überlassen würde. Die SPD sollte an 2013 anknüpfen und die Meinungsführerschaft auch im Wahlkampf 2017 behaupten. Wer starke Parlamente will, getragen vom Vertrauen der Wählerinnen und Wähler, sollte sich auch für den Ausbau der direkten Demokratie stark machen.