Debatte

Wie die SPD das Grundeinkommen für ihre Erneuerung nutzen kann

Trotz des Vorstoßes von Generalsekretär Lars Klingbeil für ein „Grundeinkommensjahr“ sieht die SPD das Bedingungslose Grundeinkommen skeptisch. Das ist schade, denn richtig ausgestaltet, könnte das Grundeinkommen zum Kernpunkt der Erneuerung der Partei werden.
von Mark Rackles · 13. November 2018
Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Diese Frage sollte sich auch die SPD stellen, meint Mark Rackles.
Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Diese Frage sollte sich auch die SPD stellen, meint Mark Rackles.

Eine Debatte auf vorwärts.de und prominente Beiträge von Spitzengenossen dokumentieren eine ungewohnte Prominenz der Diskussion über das „Grundeinkommen“ innerhalb der SPD. Allerdings überwiegt seitens der SPD die Kritik, am sprachgewaltigsten fomuliert von Pateivize Ralf Stegner, der das Bedingungslose Grundeinkommen als „unsozial“ und „trojanisches Pferd für neoliberalen Sozialabbau“ brandmarkt.

Ein neuer Ansatz der Sozialstaatlichkeit

Es ist erstaunlich, dass nicht mehr intellektuelle Energie in die vertiefte Auseinandersestzung mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen gesteckt wird, da der Grundansatz all das bedient, was die SPD in ihren Analysen der Krise vermisst bzw. vermissen lässt: ein neuer Ansatz der Sozialstaatlichkeit, der sich mit einer emanzipativen Vorstellung von Umverteilung, Armutsvermeidung und einem neuen Arbeitsbegriff verknpüfen lässt. Auch wenn noch viele Fragen offen sind (am Ende sicher die der – und m.E. möglichen – Finanzierung), so erscheint es doch gerade vor dem Hintergrund der ausgerufenen SPD-Erneuerung lohnend, sich um Eckpunkte einer sozialdemokratischen Ausprägung des bedingungslosen Grundeinkommens zu bemühen. Hierzu dienen die nachfolgenden Thesen:

Grundsätzliche Thesen:

  1. Die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) birgt das Potential eines weitreichenden, wirkungsmächtigen und mobilisierenden Konzepts, das der SPD aktuell fehlt. Es hat mindestens die Gewichtsklasse der Agenda 2010 und birgt die Chance einer nach vorne gerichteten und glaubwürdigen Abkehr von der Agenda-Politik. Die SPD braucht eine Idee von der Größenklasse des BGE!
  2. Das BGE wird historisch und aktuell in ideologisch unterschiedlichen (sich z.T. diametral entgegenstehenden) Ausprägungen diskutiert und gefordert. Neoliberale Ausprägungen des BGE können für die gesellschaftliche Linke inkl. der SPD kein Argument gegen eigene Konzepte eines BGE sein, wenn diese zu definierende Kriterien eines emanzipatorisch ausgerichteten BGE erfüllen.
  3. Das BGE erzwingt eine präzise Vorstellung der Sozialstaatlichkeit und eine glaubwürdige Antwort auf die Frage nach zukunftsfesten Sozialsystemen. Das BGE ist der konsequente Schritt zu einer Steuerfinanzierung, die die „Lasten“ des Sozialstaats gleichmäßiger und leistungsgerechter auf breitere Schultern verteilen kann.
  4. Das BGE erzwingt eine Positionierung zur Umverteilung durch eine solidarische Steuerpolitik, die das notwendige Finanzierungsvolumen sicherstellt. Hierzu sind insbesondere die Einkommens- Vermögens- und Unternehmenssteuern leistungsgerecht anzupassen.
  5. Das BGE erzwingt eine Klärung der Frage, ob Einkommen nur an Erwerbsarbeit zu koppeln ist oder ggf. eine Entkoppelung neue Potentiale gesellschaftlicher Teilhabe und Innovation eröffnet.
  6. Das BGE erzwingt eine klare Vorstellung von gesellschaftlicher Wertschöpfung und der Folgeabschätzung von Digitalisierung, Globalisierung und Ressourcenverbrauch auf den die Zukunft der Arbeit und der Wirtschaft aufbauen kann.
  7. Das BGE erzwingt eine öffentliche Verständigung über unsere Vorstellung von Gemeinschaft und institutioneller Solidarität. Das BGE definiert das Verhältnis Staat/Gemeinschaft und Individuum neu und löst Millionen Menschen aus einem Alimentations- und Sanktionsverhältnis als passive Empfänger heraus.

Konzeptionelle Thesen

  1. Das BGE ist als Einkommen auszugestalten, das auf individueller Basis von einer politischen Gemeinschaft an alle ihre Mitglieder ausgezahlt wird, ohne jede Bedürftigkeitsprüfung und ohne einen Zwang zur Arbeit.
  2. Das BGE ist als Rechtsanspruch zu definieren und muss in seiner Höhe existenzsichernd ausgestaltet sein. Aktuell sollte von einem Grundeinkommen von 1.000 Euro ausgegangen werden.
  3. Das BGE kommt allen Bürgerinnen und Bürgern zugute; für Menschen ohne Staatsbürgerschaft aber mit legalem Aufenthaltstitel sind Übergangsregelungen (z.B. je Jahr legaler Aufenthalt zehn Prozent des Grundeinkommens) auszugestalten. Für Kinder unter 16 Jahren sind gestaffelte Sätze vorstellbar (z.B. 50 Prozent des Grundeinkommens).
  4. Das BGE ist steuerfrei und i.S. einer Sozialdividende vor einer steuerrechtlichen Überprüfung des Einkommens und Vermögens auszuzahlen. Zusätzliches Einkommen wird nicht angerechnet (Zuverdienstmöglichkeit), jedoch besteuert. Von Reichen/Vermögenden fließt das Grundeinkommen über die Steuerausgestaltung zurück.
  5. Das BGE ersetzt nur einen Teil der bisherigen Sozialleistungen und stellt somit keinen vollständigen Ersatz aller fünf Säulen der Sozialversicherung dar. Ein vollständiger Systemwechsel ist im Bereich Arbeitslosenversicherung vorstellbar, eine Teilumstellung im Bereich Rentenversicherung (i.S. einer armutsfesten Grundrente) und Krankenversicherung (Grundversicherungspflicht).
  6. Das BGE muss in seiner Ausgestaltung (kollektive) Sicherungssysteme für besondere Bedarfe und Risiken wie z.B. Pflege, Unfälle, Behinderung weiterhin ermöglichen.

Das BGE muss zudem die (regionalen) Besonderheiten im Bereich Wohnungsmarkt bei der Definition „existenzsichernd“ hinreichend berücksichtigen und ggf. durch eine flexible und regional zu bestimmende Komponente in Bezug auf das Wohngeld realisieren.

Autor*in
Mark Rackles

ist Staatssekretär für Bildung im Berliner Senat und Mitglied des Landesvorstands der SPD Berlin.

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