Wie das Grundeinkommen den Weg aus der Wachstumsfalle weist
Thomas Koehler / photothek.net
Das bedingungslose Grundeinkommen birgt eine Reihe konkreter Utopien, die ein Mehr an Inklusion, Gleichheit und persönlicher Autonomie bedeuten. Es wäre ein linksreformistisches Projekt, das gegen erstarkende rechte „Krisenlösungen“ in Stellung gebracht werden kann und sich darüber hinaus eignet, als „nicht reformerischer Reformismus“ (so der Sozialphilosoph André Gorz) über Kapitalismus und Wachstumszwang hinauszuweisen.
Das Grundeinkommen bedeutet inklusive Solidarität
Da ist erstens eine erweiterte Solidarität auf inklusiver Basis. Im bisherigen Sozialstaatsmodell werden Sozialtransfers nicht an alle gezahlt: Lebenspartner, junge Erwachsene, sich (Weiter-)bildende etwa werden an die Obhut ihr zwangsweise oder freiwillig nahe stehender Finanzkräftiger verwiesen. Die universelle Solidarität eines Grundeinkommens für jeden überwindet diese paternalistische Schieflage. Es ist zudem als umverteilender Sozialtransfer Wohlhabender an Ärmere erweiterte Solidarität – unabhängig davon, ob es vornehmlich über Einkommens-, Konsum-, Körperschafts-, Erbschafts- oder Ressourcensteuern finanziert wird.
Ein Grundeinkommen jenseits einer Kopplung an die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit schafft zweitens lang ersehnte individuelle Freiräume für Phasen der Weiterbildung, des Ausprobierens, der Umorientierung, des Experimentierens. Alles das, was viele vom Leben möchten, sich aber nicht trauen, es anzufangen, weil sie nicht riskieren wollen, am Ende des Monats nicht ihre Miete zahlen zu können, weil sie fürchten, unkontrollierbar ökonomisch abzurutschen, wird eher möglich. Ein wesentliches Herrschaftsmoment kapitalistischer Ökonomie, die Aufrechterhaltung stützender Alltagspraktiken durch den allgegenwärtigen ökonomischen Druck, kann so ins Wanken geraten.
Das Grundeinkommen und die Gesellschaft von Marx
Die dritte Utopie, der wir mit einem Grundeinkommen näher kommen, ist die Autonomie der Arbeit. Im Kapitalismus ist – so Gorz – die gesellschaftliche Anerkennung verwirrend gekoppelt an das Bedürfnis nach Einkommen: Das Bedürfnis zu werken, zu wirken und anerkannt zu werden, übersetzt sich zum Bedürfnis nach Bezahlung für alles, was man tut.
Der beginnende Bruch mit der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft besteht darin, das Bedürfnis, zu handeln und gesellschaftlich anerkannt zu werden, von bezahlter und fremdbestimmter Arbeit unabhängiger zu machen. Die partielle Entkopplung von Arbeit und Einkommen durch ein Grundeinkommen und damit die Schaffung von Ermöglichungsstrukturen für ein „multiaktives Leben“ jenseits der Marktlogik kommen der von Marx anvisierten Gesellschaft näher, in der die „freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“.
Das Grundeinkommen demokratisiert den Arbeitsmarkt
Die in der nicht marktförmigen Eigen- und Gemeinschaftsarbeit erfahrenen Qualitäten wirken auf die Erwerbsarbeit zurück. Auch hier werden und können dieselben Ansprüche an „Gute Arbeit“ gestellt werden. Arbeit, die in sozialer, ökologischer oder persönlichkeitsfördernder Hinsicht nicht überzeugt, braucht mit dem Grundeinkommen im Rücken weniger angenommen werden: Der Arbeitsmarkt wird weniger herrschaftsförmig. Das Grundeinkommen kann daher auch als „Authentizitätspauschale“ bezeichnet werden.
Die mögliche Umwertung von Arbeit hat ökologische Konsequenzen: Sie wird weniger notwendiges Übel sein, die Basis für das Grundgefühl des Mangels und des Zu-Kurz-Kommens, welches die Haben-Orientierung (Erich Fromm) hervorbringt. Souveräne Arbeit dagegen fördert die Seins-Orientierung am „Guten Leben“ jenseits von Konsum und damit auch jenseits von Kapitalverwertung.
Das Grundeinkommen kann aus einem technokratischen Green New Deal (mehr Arbeit durch Öko-Technik) eine emanzipatorisch-soziale Vision machen, die auch den Weg in eine Postwachstumsgesellschaft öffnet: „Freiheit, Gleichheit, Gelassenheit“ – für wen wäre das kein attraktiver Ausweg aus dem multiplen Stress kapitaldominierter Gesellschaften?
ist Energieberater, freier Sozialwissenschaftler und Autor. 2014 ist sein Buch „Freiheit, Gleichheit, Gelassenheit. Mit dem Ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle“ im oekom-Verlag erschienen. www.ulrich-schachtschneider.de