Wie bessere Kitas und Schulen für mehr Gerechtigkeit sorgen
Ute Grabowsky/photothek.net
Wovon lebt der Mensch? Diese Frage ist in etwa so kompliziert zu beantworten, wie die der Gerechtigkeit. Und dennoch hängen sie miteinander am Ende doch zusammen. Wie kommt es dazu?
Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, dass in unserer Gesellschaft das Versprechen gilt, dass jede Bürgerin und jeder Bürger die gleiche Chance auf sozialen Aufstieg und Teilhabe an der Gesellschaft hat. Dem entgegen steht jedoch die kapitalistische Logik, dass sich Kapital vermehrt und es aufgrund der Herkunft unterschiedliche Startchancen ins Leben gibt.
Gerecht ist, gleiche Startchancen für alle zu schaffen
Doch nicht nur der Beginn des Lebens ist durch die Geburt geprägt: Wer mehr „Kapital“ in seinem sozialen Umfeld und in der Familie hat, der kann sich im Lebensverlauf auch eine zweite und dritte Chance auf sozialen Aufstieg „leisten“. Das gilt leider auch noch im 21. Jahrhundert. Der Grad der Gerechtigkeit in einer Gesellschaft bemisst sich also auch an der Möglichkeit, das Versprechen auf Aufstieg und Teilhabe einlösen zu können.
Wo setzt man also an? Die moderne Gesellschaft hat durch einen Megatrend die Chance, zu Beginn des Lebens die Startchancen aller zu verbessern. Denn die Zahlen der Kinder unter und über drei Jahren in der Kindertagesbetreuung kennen in den vergangenen Jahren nur eine Richtung: nach oben.
Eine soziale Infrastruktur gleich vieles aus
Stellen wir uns also vor, wir könnten diese Entwicklung durch eine soziale Infrastruktur begleiten, die flächendeckend qualitativ und ausreichend finanzierte Einrichtungen für alle Kinder bereithält. Wir könnten in einer vielfältigen Gesellschaft durch beispielsweise hohe Betreuungsschlüssel, ausreichend Räumlichkeiten sowie überall gut bezahlte und ausgebildete Fachkräfte all dem begegnen, was in Familien dazu führt, dass bereits zu Beginn die Startchance für einige Kinder gering ausfallen.
Genauso könnte dort, wo es zuhause nicht mit dem Familienleben gelingt, allen bedürftigen Familien eine Hilfe zur Erziehung zugesprochen werden. Und auch Schulsozialarbeiter können heute Schülern das nötige Selbstvertrauen im Schulalltag schenken, was es manchmal braucht, um den Mut für einen zweiten Anlauf aufzubringen.
In der Professionalität der Sozialen Arbeit liegt die Chance
Was führen uns diese Beispiele vor Augen? Wir haben heute eine derart hohe Professionalität in den sozialen Berufen, dass sie mit Fug und Recht behaupten können, dass sie in der Lage sind, die Chancen auf sozialen Aufstieg und Teilhabe an der Gesellschaft für alle zu verbessern. Sie sind also gewissermaßen die Verwirklichungsgaranten des kapitalistischen Versprechens in modernen Gesellschaften.
Damit bieten sie nicht zuletzt auch jedem das, was am Ende der Mensch zum Leben braucht: die berechtigte Hoffnung sich in der Gesellschaft entwickeln zu können, Probleme und Herausforderungen nicht alleine lösen zu müssen und Orte der Gemeinschaft und Fürsorge.
Kurzum: Damit es gerechter zugeht, braucht es eine starke soziale Infrastruktur in diesem Land. Der Bund muss hier Standards festlegen und Leistungen in den Kommunen auskömmlich mitfinanzieren. Und nicht zuletzt braucht es Parteien und Organisationen, die eine entsprechende Erzählung in die Gesellschaft tragen und eine solche Politik verwirklichen.
Den Menschen sagen, wofür es Umverteilung braucht
Die Erzählung hierfür ist leicht geschrieben: Wer einen gerechten Fortschritt will, der sollte als Bürgerin und Bürger in diesem Land bereit sein, starke Kindertagesstätten, starke Einrichtungen der Kinder-und Jugendhilfe, ausreichende Beratungseinrichtungen und Fachkräfte in allen Feldern der sozialen Arbeit zu finanzieren. Nach einer Epoche, in der alle Parteien einen schlanken Staat wollten und Investitionen ins Soziale gemeinhin als Missbrauch an den Steuerzahlerzahlenden betrachtet wurden, ist hier ein Umdenken zwingend notwendig.
Ich bin jedoch überzeugt, dass, wenn man verdeutlicht, wozu es Umverteilung braucht, es auch Mehrheiten dafür gibt. Und dann können auch die Instrumente zur Finanzierung in die Hand genommen werden, um die wir schon lange wissen: die Abgeltungssteuer abschaffen, eine Vermögenssteuer einführen, den Erbschafts- und Spitzensteuersatz neu ausrichten, Entgeltgleichheit für Frauen und Männer einführen – um nur die prägnantesten zu nennen. Jetzt braucht es Mut und die Standhaftigkeit in der Auseinandersetzung um Gerechtigkeit. Für uns steht fest: Die Arbeiterwohlfahrt ist ein Partner im Kampf um mehr Gerechtigkeit für all diejenigen, die sich dieser Aufgabe stellen.
ist Diplom-Soziologe und arbeitet seit 1978 bei der AWO. Seit 2010 ist er Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt und Geschäftsführer der ElternService AWO GmbH.