„Wenn Pfleger sich trauen würden, den Mund aufzumachen…“
Thomas Trutschel/photothek.net
Sabine Rottländer weiß, wovon sie spricht: „Wenn Pfleger sich trauen würden, den Mund aufzumachen, würde ihnen viel eher zugehört. Deutlich machen, wo die Belastungsgrenzen sind und weshalb es so schwierig ist, den Beruf auszuüben.“ Sie arbeitet seit über 30 Jahren in der Altenpflege, ist mittlerweile Fachwirtin für Gesundheit und Sozialwesen und leitet seit drei Jahren die Seniorenresidenz Nobilis in Troisdorf bei Bonn. 80 Bewohner in Pflegevollstationären Plätzen, 38 betreute Wohnungen. 50 Prozent sind an Demenz erkrankt.
Früher gab es viel mehr Personal
Die Altenpflegerin sollte nach einem Test beim Arbeitsamt Fleischereifachverkäuferin werden. Im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) arbeitete die damals 18jährige in Hamburg zufällig mit alten Menschen – und merkte: „Das Medizinische und Sozialpflegerische macht mir Spaß, vor allem die Beziehungspflege mit alten Menschen ist reizvoll. Sabine Rottländer erkannte bereits 1990, welche berufliche Entwicklung die Altenpflege bietet. Es gab viel mehr Personal, das wünscht sich Sabine Rottländer zurück: Mehr Köpfe in der Pflege. „Wir hatten eine Badefrau, die täglich kam, nur um die Bewohner zu baden. Eine Hauswirtschaftshilfe verteilte im Früh- und Spätdienst die Mahlzeiten, räumte auf, bezog Betten, brachte Bewohner zum Arzt.“ Mit der Einführung der Pflegeversicherung fiel alles, „was in meiner Ausbildung durch extra Mitarbeiter abgedeckt wurde, auf uns Pflegekräfte zurück“.
1994 stieg Sabine Rottländer „entnervt“ aus, arbeitete in der Sozialpsychiatrie und kehrte vor 13 Jahren zurück in Altenpflege. Sie erlebte: „Im Grunde ist es personell noch enger und schlimmer geworden.“ Vor fünf Jahren wurde sie Pflegedienstleiterin und versucht, mit Kollegen und Bewohner würdevoll umzugehen. „Weil ich so lange selber am Bett gestanden habe, weiß ich, wieviel Kraft und Energie die Arbeit kostet.“ Zum anderen Umgang gehört auch: Mitarbeiterfrühstück und Zusagen für freie Tage einhalten. „Fallen Kollegen aus, arbeite ich fast immer mit, weil ich die Basis nicht aus dem Auge verlieren möchte.“
Wenig Zeit für Gespräche oder Händchen halten
Sabine Rottländer, seit zwei Jahren SPD-Mitglied, ist glücklich, „dass Pflege mittlerweile ein hohes Niveau erreicht hat“. Schrecklich ist für sie dagegen die Pflegeversicherung, „weil da der Personalschlüssel so strammgezogen wurde“. Gemeinsam mit der Geschäftsführung steuert die Leiterin gegen: „Wir haben mehr Personal, als wir refinanziert bekommen, stellen bis anderthalb Stellen über Plan ein. Wird jemand krank, reißt das nicht so ein Loch, weil wir gut besetzt sind.“ Sie wünscht sich „generell einen Aufschlag von zweieinhalb Menschen, um entspannter in die Planung gehen zu können.“
Auszubildenden, die alte Menschen begleiten und betreuen wollen, muss Sabine Rottländer sagen: Altenpflege ist heute Körperpflege, Toilettengänge, Behandlungspflege, da bleibt wenig Zeit für Gespräche oder Händchen halten. Dafür gibt es Betreuungskräfte. „Ich bin froh, dass sie uns entlasten, aber sie nehmen uns den Teil der Arbeit weg, der in der Pflege Spaß macht. Für mich ist der Beruf Altenpflege trotzdem wichtig, ich komme immer noch jeden Tag gerne zur Arbeit, was ich sehr erstaunlich finde.“
Viel Geduld und gute Laune sind wichtig
Für die gelernte Krankenschwester Brigitte Grünbergs (61) ist klar: „Man kann in dem Job nicht eine Schiene fahren, sondern muss flexibel sein, darf nie die Ruhe verlieren, selbst wenn es schwerfällt.“ Ihr Allheilmittel gegen Frust und Stress sind viel Geduld und spürbar gute Laune. Sie arbeitet seit 14 Jahren in der Altenpflege. Nach einer längeren Mutterpause stieg sie mit einer halben Stelle in die vollstationäre Pflege ein, machte Fortbildungen und wusste: „Bei alten Menschen Ressourcen fördern und erhalten ist mein Ding.“ Brigitte Grünberg ist seit zehn Jahren im Haus Curanum in rheinischen Sieglar bei Bonn.
Als Schichtleiterin ist sie mit ihrem Team für 26 Bewohner in 17 Zimmern verantwortlich. Nur drei sind nicht dement, gut die Hälfte muss intensiv gepflegt werden. Im Frühdienst kommt Brigitte Grünberg um 6 Uhr als Erste, bereitet die Spritzen vor. Um 7 Uhr kommen drei Pflegehelfer, später zwei Schüler. Eine Woche bleiben sie ein Team, die Kontinuität tut den überwiegend dementen Bewohner gut. Mittags betreut sie Bewohner an Sauerstoffgeräten, schreibt Berichte, telefoniert mit Ärzten. „Normalerweise betreue ich sieben Bewohner, wenn ich mich um den Schreibkram kümmere, sind es zwei bis drei weniger.“ Für die Altenpflegerin umfasst der Beruf „ein riesiges Paket“, wie sie es nennt.
Viele Demenzkranke in den Heimen
„Die Behandlungspflege ist gegenüber früher deutlich gestiegen“. Viele können gar nichts mehr alleine. „Ständiger Transfer Bett-Rollstuhl-Toilette, das ist psychisch und physisch anstrengend.“ Früher waren die Bewohner noch mobil, wenn sie ins Heim kamen, konnten noch an Aktivitäten teilnehmen. „Sie kamen zu uns, weil sie die Intimpflege nicht mehr bewältigen konnten oder inkontinent waren. Damals brauchten zwei Bewohner Vollpflege.“
Heute sind fast alle dement. „Sie kommen erst, wenn sie absolute Anleitung und sehr viel Zuwendung von uns brauchen.“ Demente Bewohner können oft nicht mehr alleine aufstehen. „Ich muss immer wieder sagen: Jetzt holen wir die Prothese raus, waschen das Gesicht, das dauert bis zu einer halben Stunde. Es ist wichtig, alles zu erklären, weil Demente meist gegenarbeiten. Ich sage, Hose runter, sie ziehen sie hoch. Da braucht man eine große Spur an Geduld. Man kann das lernen, selbst im größten Stress in Ruhe zu arbeiten.“ Das hat sich in der Pflege stark geändert. „Manche sind bettlägerig, bekommen gar nichts mehr mit, da sind wir gefragt. Das ist nur über ein gutes Team zu gewährleisten.“
Pfleger haben keine Lobby
Wird ein Kollege krank, springen Mitarbeiter aus anderen Wohnbereichen ein. „Wir arbeiten mit Menschen, die müssen ordentlich versorgt werden.“ Wenn Brigitte Grünberg draußen sagt, sie sei Altenpflegerin, hört sie oft: Oh, Gott! „Da werde ich ungehalten“. Die Bedingungen findet sie gut. „Natürlich wünschen wir uns 2 oder 3 Kollegen mehr und die Bezahlung wäre verbesserungswürdig, aber wir haben keine Lobby.“ Ihre Sorge: „Dass viele junge, gut ausgebildete Kollegen weggehen, weil sie woanders mehr verdienen können.“