Was sich die Deutschen vom Grundeinkommen erhoffen
Die Mehrheit der Deutschen ist für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das geht aus einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Vereins „Mein Grundeinkommen“ hervor. 73 Prozent der 2033 Befragten gaben an, die Idee des Grundeinkommens zu befürworten – 29 Prozent „voll und ganz“, 44 Prozent „prinzipiell“. Letztere haben allerdings noch offene Fragen. 21 Prozent lehnen die Idee grundsätzlich ab.
82 Prozent wollen mit Grundeinkommen weiter arbeiten
Unter den Befürwortern sind vor allem Personen mit niedrigem Einkommen und Bildungsgrad. Alter, Geschlecht oder Parteipräferenz spielen bei der Haltung zum Grundeinkommen hingegen keine Rolle. Die Umfrage räumt auch mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: 82 Prozent der Befragten gaben an, auch mit einem Grundeinkommen weiterhin ihrer Erwerbsarbeit nachgehen zu wollen. Nur acht Prozent wollten aufhören zu arbeiten.
Paradox: Die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass „die meisten Menschen“ mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aufhören würden zu arbeiten. Von einem „zwiegespaltenen Bild von dem, was man über andere denkt, und dem, was man selbst tun würde“, sprach Maheba Goedeke Tort vom Verein „Mein Grundeinkommen“ bei der Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag in Berlin.
Ein ähnliches Bild hatte auch eine bereits Ende Mai veröffentlichte Studie im Auftrag des Schweizer Thinktanks „Neopolis Network“ in den 28 EU-Ländern ergeben. Nur vier Prozent der 10.000 befragten Europäer hatten angegeben, auf ihre Arbeit zu verzichten, sollte ein Grundeinkommen eingeführt werden. Auch hier befürchteten jedoch 43 Prozent, dass die meisten Mitbürger ihre Arbeit aufgeben würden. In der europäischen Studien hatten 64 Prozent der Befragten angegeben, für ein Grundeinkommen zu sein.
Die Einführung des Grundeinkommens braucht Zeit
Die Diskussion über das Grundeinkommen hat in den vergangenen Monaten an Fahrt aufgenommen. Ein Auslöser war die Volksabstimmung in der Schweiz am vergangenen Sonntag. Dort stimmten zwar nur 23 Prozent für die Einführung eines Grundeinkommens, für Mitinitiator Daniel Häni ist das aber immerhin eine „beachtliche Größe“. Zudem hätte eine Umfrage direkt nach der Abstimmung ergeben, dass 69 Prozent der Schweizer davon überzeugt seien, dass es in absehbarer Zeit eine weitere Abstimmung über das Grundeinkommen geben wird.
„Die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens ist keine Hauruck-Veranstaltung, sondern braucht Zeit“, ist Häni überzeugt. Der Unternehmer und Aktivist rechnet für die Zeit mit einem Zeitraum von zehn Jahren.
Wohin die gewonnene Zeit fließt
In Deutschland dürfte es deutlich länger dauern – auch wenn die Menschen hierzulande dem Grundeinkommen durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen. „Die Deutschen wissen heute deutlich mehr über das Grundeinkommen als noch vor wenigen Jahren“, sagte Amira Jehia, Geschäftsführerin des Vereins „Mein Grundeinkommen“. Die aktuelle Umfrage unterstreicht das Bild.
So erhoffen sich 26 Prozent der Befragten von einem Grundeinkommen „mehr Selbstbestimmung“, 25 Prozent „mehr Zeit für die Familie“ bzw. die Familiengründung. 19 Prozent würden die gewonnene Zeit in eine Weiterbildung investieren, 17 Prozent den Schritt in die berufliche Selbstständigkeit wagen. Auf die faule Haut würden sich die wenigsten legen: Nur elf Prozent gaben an, mit der Sicherheit eines Grundeinkommens „erstmal eine Auszeit“ zu nehmen
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.