Debatte

Was das Grundeinkommen verändert – und was nicht

Am 5. Juni stimmen die Schweizer über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ab. Dabei geht es weniger um Geld, als vielmehr um eine Verschiebung von Macht, meint der Ökonom und Philosoph Philip Kovce. Das Grundeinkommen stärke die Rolle des Einzelnen.
von Philip Kovce · 7. April 2016
Die Generation Grundeinkommen wirbt für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz
Die Generation Grundeinkommen wirbt für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz

Wenn die Schweiz am 5. Juni über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmt, dann passiert nichts Besonderes. Die Schweizer sind es gewohnt, mit den Grundsatzfragen, die ihre eigene Verfassung betreffen, und mit den Sachfragen, die ihnen wichtig sind, nicht das politische Personal zu überfordern. Sie fragen und antworten sich selbst. So weit, so direktdemokratisch.

Die Revolution wird ausfallen – auch wenn eine Mehrheit das Grundeinkommen befürwortet

Doch selbst dann, wenn die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich angenommen werden sollte – wovon nicht auszugehen ist –, würde nichts Besonderes passieren. Die Revolution fiele aus. Warum? Weil das Grundeinkommen nichts Besonderes ist.

Es ist nichts Neues, dass jeder, der hier und heute lebt, ein Einkommen benötigt, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Und es ist auch nichts Neues, dass jeder dieses Einkommen bereits heute erhält – sonst wäre er nicht hier. Wie unsinnig und unwürdig die Bedingungen auch sein mögen, die im Einzelfall das Einkommen sichern, es steht faktisch jedem zur Verfügung.

Wer das Unbedingte an Bedingungen knüpft, ist ungeschickt

Die Schweizer Grundeinkommensinitiative lädt dazu ein, die Sache mit dem Einkommen genauer zu durchdenken. Dabei kommt heraus: Jeder, egal ob arm oder reich, jung oder alt, Frau oder Mann, bedarf eines Einkommens. Wenn jedoch jeder das Lebensnotwendige unbedingt benötigt, dann ist es ungünstig, dessen Bezug zu erschweren. Wer das Unbedingte an Bedingungen knüpft, ist ungeschickt. Er verhindert, dass sich die Fragen des Einzelnen auf Fragen jenseits des Einkommens richten. Er verhindert, dass der Einzelne selbstbestimmt arbeitet.

Das Neue des bedingungslosen Grundeinkommens ist nicht das Grundeinkommen, das wir bereits erhalten, sondern die Bedingungslosigkeit, auf die wir noch immer verzichten. Die Schweizer Volksinitiative fordert deshalb dazu auf, die Bedingungen der Bedingungslosigkeit zu verhandeln, die die Zukunft der Arbeitsgesellschaft sichern.

Die Bedingungen, nach denen wir uns zu richten haben, um unsere Existenz zu sichern, werden immer weniger bedeutsam. Wir selbst haben dafür gesorgt, dass wir uns aus den Belangen der Existenzsicherung immer mehr zurückziehen können. Wir selbst haben uns als unsere Existenzsicherer abgeschafft. Maschinen und Algorithmen stehen uns dafür zu Diensten – und es ist offen, wofür wir uns in Zukunft eigentlich selbst zu Diensten stehen wollen.

Das bedingungslose Grundeinkommen stellt die Machtfrage

Klar ist: Es braucht uns in Zukunft nur noch dort, wo wir aus menschlichen Gründen nicht auf Menschen verzichten wollen. Menschen braucht es nur noch für den Dienst am Menschen. Dafür ist Bedingungslosigkeit die beste Voraussetzung. Ich nehme den Bedarf der anderen besser wahr, wenn ich selbst gut abgesichert bin. Ich kann mich auf die Bedingungen anderer besser einlassen, wenn mir mein Grundeinkommen bedingungslos gewährt wird. Und ich kann außerdem unwürdigen Bedingungen besser eine Absage erteilen.

Das bedingungslose Grundeinkommen fördert die Souveränität des Einzelnen. Damit stellt es die Machtfrage. Es kostet nicht Geld, sondern Vertrauen – und jene die Macht, die sich im großen Stil als Bedingungsmanager begreifen. Parteien sind besonders machtverlustgefährdet, denn sie drohen, die selbstbestimmte Arbeitsgesellschaft zu verschlafen. War es früher etwa angemessen, für die Freiheit der Arbeiter als Partei mächtig zu werden, um den Kapitalisten Kompromisse abzutrotzen, so ist es heute geboten, für die Freiheit des Einzelnen auf eigene Macht zu verzichten.

Politiker zu Bürgerdienstleistern umschulen!

Parteien haben nur dann eine Zukunft, wenn sie sich entpolitisieren. Soll heißen: Wenn sie Macht anstelle von Kompetenz delegieren. Der nächste große Strukturwandel steht nicht in dieser oder jener Industrie an, sondern im politischen Betrieb: Wir müssen tausende Berufspolitiker, die sich noch immer als Identitätsbeauftragte und Machtbefugte gebärden, zu Bürgerdienstleistern umschulen. Das ermöglichen – siehe Schweiz – direkte Demokratie und bedingungsloses Grundeinkommen. Wir werden es uns nicht länger leisten können, darauf zu verzichten.

„Es ist sozial, Arbeit abzuschaffen.“ Ein Interview mit Philip Kovce lesen Sie hier.

Autor*in
Philip Kovce
Philip Kovce

ist Ökonom und Philosoph sowie Co-Autor des Buches „Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt“.

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