Warum unsere Rente wieder paritätisch finanziert werden muss
Ute Grabowsky/photothek.net
Die Weltwirtschaftskrise und die später folgende Niedrigzinsphase haben eindrucksvoll bestätigt, dass unser umlagefinanziertes Rentensystem privater Kapitaldeckung überlegen ist. Wer die Rente teilprivatisiert und von den Kapitalmärkten abhängig macht, erfreut allein Banken und Versicherungen. Breite Schichten der Bevölkerung zahlen dafür mit Unsicherheit und niedrigeren Renten.
Fehler: Die Abkehr von der Parität
Die „Rentenlücke“ ist die hausgemachte Folge der politisch gewollten Absenkung des Rentenniveaus. Dahinter stand die neoliberale Ideologie, dass der demographische Wandel zu steigenden Rentenbeiträgen führt, die wiederum die deutsche Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Die Arbeitgeberseite wurde so kostenseitig deutlich entlastet.
Das niedrigere Rentenniveau ist nicht nur sozialpolitisch verhängnisvoll. Es bremst auch die Binnenkonjunktur, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstärkt privat vorsorgen müssen und dieses Geld den jetzigen Rentnern fehlt. Auch hat die Abkehr von der Parität ihren Anteil an den gefährlich hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen.
Der Reformbedarf in der Rentenpolitik ist offenkundig. Aber wir haben in dieser Legislaturperiode auch erstmals gegengesteuert. Dazu zählen die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, die Mütterrente sowie die Verbesserungen der Erwerbsminderungsrente.
Doch der Hauptfehler bleibt: Die Abkehr von der paritätischen Finanzierung führt zur Verschiebung der Gesamtbelastung zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Arbeitnehmer zahlen mehr
Um dieses Prinzip zu verdeutlichen reicht ein Beispiel: Will man das Rentenniveau stabil halten, so liegt der Beitragssatz im Jahr 2030 bei etwa 26 Prozent. Bei paritätischer Finanzierung würden sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer jeweils 13 Prozent Beiträge leisten. Gegenwärtig ist der Beitragssatz bei maximal 22 Prozent bis ins Jahr 2030 festgeschrieben. Dieser wird zu gleichen Teilen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite mit jeweils elf Prozent finanziert.
Die Rentenniveauabsenkung, die zu einer Rentenlücke von vier Prozent führt, muss von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern alleine ausgeglichen werden – nämlich durch die kapitalgedeckte private Altersvorsorge. Während der Arbeitgeber also nur elf Prozent der Altersvorsorge seiner Beschäftigten trägt, haben die Beschäftigten eine Belastung von elf plus vier Prozent, nämlich 15 Prozent – sofern der Lebensstandard im Alter erhalten werden soll. Somit haben sich die Kosten der Alterssicherung nicht verändert, sie sind lediglich einseitig auf die Arbeitnehmerschaft verschoben worden. Durch den stetig anwachsenden Niedriglohnsektor können sich immer weniger Menschen die private Altersvorsorge überhaupt leisten.
Es ist unbestritten, dass die betriebliche Altersvorsorge eine sinnvolle ergänzende Maßnahme zur Sicherstellung des Lebensstandards im Alter ist. Daher ist eine flächendeckende, obligatorische Betriebsrente mit klarem und verbindlichem Gesetzesrahmen und einem Vorrang für tarifliche Lösungen äußerst erstrebenswert.
Mindestens 50 Prozent Rentenniveau sichern
Doch muss neben dem Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge die einseitige Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beendet werden. Die Leistungen, die zu einer lebensstandardsichernden Rente führen, dürfen nicht in erster Linie auf ihren Schultern liegen. Die Steuermittel, die aktuell für die Förderung der Riester-Rente verwendet werden, sind in der gesetzlichen Rentenversicherung weitaus besser aufgehoben.
Die Rückkehr zu einer paritätischen Finanzierung der Rente ist für die soziale Sicherheit, das Vertrauen in den deutschen Sozialstaat und die Legitimation der gesetzlichen Rentenversicherung von immens hoher Bedeutung. Neben der perspektivischen Festlegung des Rentenniveaus auf mindestens 50 Prozent benötigen wir insbesondere Anpassungen für Menschen mit geringen Einkommen.
Unterstützung für Geringverdiener
Die Fehler der Vergangenheit haben zu einem ausgeprägten Niedriglohnsektor in Deutschland geführt. Wer 45 Jahre zum Mindestlohn arbeitet, erhält später keine existenzsichernde Rente. Für immer mehr Beschäftigte lohnt sich so das solidarische Rentensystem nicht mehr. Im Zweifel stärkt das rechte Populisten, auch wenn diese das komplette Rentensystem privatisieren wollen. Ein Blick beispielsweise nach Österreich zeigt, dass eine Mindestrente über dem Grundsicherungsniveau nach langjähriger Versicherungszeit möglich und bezahlbar ist.
Hierbei müssen wir uns aber auch klar und deutlich von Vorstellungen der Linkspartei abgrenzen, die über eine hohe Mindestrente – unabhängig davon ob jemals in die Rentenkasse eingezahlt wurde – ein verkapptes bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür einführen wollen.
Die sozialen Sicherungssysteme müssen sich immer wieder den sich wandelnden Verhältnissen anpassen. Verlässlichkeit und Solidarität sind dabei unabdingbar. Ganz konkret stehen wir dabei vor drei großen Gerechtigkeitsherausforderungen. Erstens muss das Rentenniveau wieder über 50 Prozent stabilisiert werden. Zweitens müssen wir zur vollen paritätischen Finanzierung zurück und drittens brauchen Geringverdiener höhere Rentenpunkte, damit sich die Einzahlung ins System weiter lohnt.
ist Senatorin für Arbeit und Soziales in Berlin sowie Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (AfA) der SPD.