Debatte

Warum Sozialdemokraten für das Grundeinkommen eintreten sollten

Das bedingungslose Grundeinkommen ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung, weil es Arbeitnehmern zusätzliche Macht gibt. Die SPD sollte sich für die Einführung stark machen, meint der Ökonom Thomas Straubhaar.
von Thomas Straubhaar · 9. März 2017
Das Grundeinkommen ermöglicht dem Sozialstaat eine Finanzierung, die auch die Wertschöpfung von Robotern einbezieht, meint Ökonom Thomas Straubhaar.
Das Grundeinkommen ermöglicht dem Sozialstaat eine Finanzierung, die auch die Wertschöpfung von Robotern einbezieht, meint Ökonom Thomas Straubhaar.

Die Sozialdemokratie steht für einen Sozialstaat, der Chancengleichheit schafft. Dabei hat der Sozialstaat „nicht nur um die Aufgabe, Armut zu verhindern, sondern soll ebenso Freiheits- und Beteiligungschancen sicherstellen“. So schreibt es Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Sprecher des Seeheimer Kreises, in seinem Debattenbeitrag auf vorwärts.de. Dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) spricht er ab, sozialdemokratischen Zielen gerecht zu werden. Es löse kein einziges Problem, sondern schaffe neue. Welch dramatischer Irrtum! Es ist höchste Zeit, für Aufklärung zu sorgen.

Das Grundeinkommen verhindert Armut

Das BGE erfüllt sehr wohl die sozialdemokratischen Anforderungen an den Sozialstaat. Ein vom Staat von der Wiege bis zur Bahre Monat für Monat in Höhe des Existenzminimums an alle ohne Vorbedingung überwiesener Geldbetrag verhindert Armut. Er sorgt für Halt, Sicherheit und schafft Freiräume. Wenn die Existenz materiell in jedem Falle zu jeder Zeit garantiert ist, wird die Bevölkerung von der Sorge des wirtschaftlichen Überlebens entlastet. Das Grundeinkommen schafft Voraussetzungen, die für selbstbestimmte Tätigkeiten genutzt werden können. Natürlich werden nicht alle die neu verfügbaren Möglichkeiten ausschöpfen – das tun viele auch heute nicht – aber mindestens wer will, kann die sich mit dem Grundeinkommen bietenden Gelegenheiten ergreifen.

Die Gegner des BGE argumentieren, es sei „so gefährlich“, weil es „für Teile des rechten politischen Spektrums die Illusion (schaffe), mit einem (möglichst geringen) ‚Einkommen für alle’ darüber hinausgehende Verteilungsfragen dauerhaft zu unterbinden“ – so ein Autorenkollektiv um Heiner Flassbeck, den früheren Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen unter Oskar Lafontaine in der ersten rot-grünen Regierung Schröder.

Das Grundeinkommen ist Werkzeug, keine Ideologie

Da wird das BGE völlig zu Unrecht geprügelt. Weder kann, noch will das Grundeinkommen normative Fragen der Verteilungsgerechtigkeit klären. Es ist ein Instrument der Sozialpolitik, keine sozialpolitische Ideologie. Es konzentriert sich ausschließlich auf die Einkommenssteuer. Vermögens- oder Erbschaftssteuerfragen bleiben komplett unberücksichtigt und müssen von Gesellschaft und Politik anderweitig beantwortet werden.

Wenn es politisch mehrheitsfähig ist, kann mit dem bedingungslosen Grundeinkommen jedes gewünschte Maß der Umverteilung von Besser- zu Schlechtverdienenden durchgesetzt werden. Es bleibt der Politik unbenommen, das Grundeinkommen und die Einkommenssteuersätze nach Belieben festzulegen. Dabei ist es sicher nicht schädlich, mit politischer Vernunft und ökonomischem Sachverstand zu agieren und Maß und Mitte nicht aufgrund ideologischer Überzeugungen aus den Augen zu verlieren.

Der Kern eines neuen Gesellschaftsvertrags

Aus gewerkschaftlicher Sicht dominiert die Sorge um den Machtverlust die Bewertung des bedingungslosen Grundeinkommens. „Was vielen Erwerbslosen irrigerweise als ‚Schlaraffenland ohne Arbeitszwang’ erscheint, wäre in Wirklichkeit ein Paradies für Unternehmer, in dem Arbeitnehmer weniger Rechte als bisher und Gewerkschaften keine (Verhandlungs-)Macht mehr hätten.“ So Christoph Butterwegge, Ex-Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten in einem Debattenbeitrag für Focus-Online. Ironischerweise hat „Die Linke“ in ihrem Programm festgehalten, „dass Teile der Partei das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens vertreten und dass die kontroverse Diskussion weiter geführt werden“ soll.

Ähnlich sehen es übrigens die französischen Sozialisten. Ihr Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon hat klar erkannt, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt radikal verändert. Entsprechend plädiert er für ein BGE als Kern seines neuen Gesellschaftsvertrags, bei dem die Arbeit einen anderen Stellenwert als in der Vergangenheit einnimmt.

Mindestsicherung anstatt Mindestlohn

Richtig ist, dass mit dem Grundeinkommen der Arbeitsmarkt von einer Vielzahl sozialpolitischer Aufgaben befreit wird. Insbesondere bedarf es keiner sozialpolitisch motivierter gesetzlicher Mindestlöhne mehr. Wieso auch? Die Mindestsicherung tritt an die Stelle des Mindestlohns. Die Existenz aller wird durch das Grundeinkommen gesichert. Ein Mindestlohn, der nur jenen hilft, die Arbeit haben, ist für ein Leben in Würde aller nicht mehr erforderlich.

Falsch ist jedoch, dass mit einem Grundeinkommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Gewerkschaften weniger Verhandlungsmacht hätten. Das Gegenteil trifft zu. Wenn Menschen nicht aus purer wirtschaftlicher Existenznot gezwungen sind, jeden angebotenen Job unter allen Bedingungen annehmen zu müssen, können sie Nein sagen, wenn eine Arbeitsstelle an unwürdige Bedingungen gebunden ist. Es ist also gerade umgekehrt: Noch nie hätten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Macht als mit einem Grundeinkommen!

Abschied von paternalistischen Staat

Vertreter eines aktivierenden Sozialstaates halten ein BGE für eine „Stilllegungsprämie“. Wenn der Staat das Existenzminimum aller abgesichert habe, würde er sich aus seiner Verantwortung für die Problemgruppen zurückziehen (können). Das kann sein. Aber wieso soll oder muss der Staat im Nachhinein Beschäftigungslose aktivieren? Wieso kann er nicht im Voraus Voraussetzungen schaffen, dass Menschen aus eigenem Antrieb, eigenverantwortlich und selbstbestimmt tun, was sie machen wollen?

Ein Sozialstaat des 21. Jahrhunderts soll präventiv Probleme verhindern und nicht im Nachhinein Probleme aktivierend korrigieren wollen. Er soll die Mehrheit der Bevölkerung ermächtigen, vorhandene Fähigkeiten auszuschöpfen. Das Grundeinkommen schließt ja nicht aus, dass es für Einzelfälle gute Gründe gibt, auch in Zukunft staatliche Unterstützung bei Umschulungen und Neuorientierungen zu gewähren. Aber die staatliche Aktivität soll nicht mehr mit dem paternalistischen Anspruch legitimiert werden, Menschen zum Glück der Arbeit zwingen zu wollen.

Garantierte Teilhabe und Ermächtigung

Das BGE erzwingt einen fundamentalen Perspektivenwechsel: Weg von einem Sozialstaat, der im Nachhinein durch aktivierende Maßnahmen korrigieren will, was vorher falsch gelaufen ist. Weg von einer Finanzierung über Abgaben aus dem Arbeitseinkommen. Weg von Arbeitswelten, Familienbildern und Lebensläufen, die schon heute nicht mehr der Wirklichkeit und erst recht nicht dem Alltag der Zukunft entsprechen. Hin zu einer garantierten Teilhabe und einer Ermächtigung aller – im Voraus. Hin zu einer Finanzierung, die auch die Wertschöpfung von Robotern einbezieht. Hin zu Lebens- und Verhaltensweisen, die der Realität des 21. Jahrhunderts entsprechen.

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Autor*in
Thomas Straubhaar

ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg.

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