Debatte

Warum es mit Putins Russland kein „back to the 70s“ geben kann

In Deutschland gibt es die Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Entspannungspolitik mit Russland. Doch dafür muss der Kreml die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Souveränität aller Staaten in Europa respektieren. Geschieht das, ist die selbstverschuldete Isolation Moskaus beendet.
von Niels Annen · 19. Dezember 2016
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Russland polarisiert. Die Gründe dafür sind vielfältig. Deutschland und Russland waren immer eng miteinander verwoben. Phasen enger Partnerschaft und gegenseitiger Bewunderung wechselten sich ab mit Zeiten tiefer Feindschaft und gegenseitiger Verachtung.

Russland bleibt unverrückbarer Nachbar

Auch heute sehen wir uns großen Herausforderungen in den bilateralen Beziehungen gegenüber. Wie sollten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit diesem schwierigen Partner umgehen? Egon Bahrs einstige Bemerkung, Amerika sei für Deutschlands Sicherheit unverzichtbar, Russlands geografische Lage aber sei unverrückbar, ist immer noch aktuell.

Die deutsche Russland-Debatte leidet häufig unter einer starken Emotionalisierung und einer permanenten Komplexitätsreduktion. Für die einen ist Russland bereits wieder der „Hort des Bösen“, während für die anderen Moskau nach wie vor ein Sehnsuchtsort politischer Kontinuität und Stabilität, nicht zuletzt als Gegenpol zum ungeliebten „Weltpolizisten“ USA darstellt.

Aggressive Außenpolitik Putins

In der innenpolitischen Debatte in Deutschland ertönt regelmäßig die Forderung nach einer Neuauflage der Entspannungspolitik, um aus der gegenwärtig schwierigen Lage wieder herauszufinden. Doch ein einfaches „Back to the 70s“ greift zu kurz und verkennt die grundlegend andere Ausgangslage, in der wir uns heute im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts befinden.

Damals hatten wir mit der Sowjetunion eine berechenbare und auf Machtsicherung ausgerichtete Großmacht. Heute tritt uns Russland als zutiefst verunsicherter und unter fortschreitendem Bedeutungsverlust leidender Partner gegenüber. Dies äußert sich in einem zunehmend aggressiven außenpolitischen Auftreten mit dem Ziel, insbesondere mit den USA wieder auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Gleichzeitig dient es dazu, innenpolitische Fehlentwicklungen zu kaschieren. Russische Außenpolitik ist insofern immer auch als Instrument der Innenpolitik zu sehen.

Europäische Sicherheitsordnung wird ausgehöhlt

Wie sich das russisch-amerikanische Verhältnis unter einem US-Präsidenten Trump entwickelt, wird sich noch erweisen müssen. Jedenfalls hielt sich Wladimir Putin mit übermäßig positiven Reaktionen angesichts des unerwarteten Siegs von Donald Trump auffallend zurück. Denn es dürfte auch aus innenpolitischen Gründen für Russland nicht einfach sein, die USA als Feindbild zu verlieren – selbst dann nicht, wenn Präsident Trump Moskau in einigen wichtigen außenpolitischen Fragen weit entgegen käme.

Als Sozialdemokraten unterstreichen wir, dass die Sicherheit in Europa unteilbar ist. Wir sind jedoch auch besorgt über die anhaltende Aushöhlung der auf Regeln beruhenden europäischen Sicherheitsordnung. Nur durch eine vollständige Rückkehr zu diesen Prinzipien, die fest auf etablierten und nicht verhandelbaren Grundsätzen des Völkerrechts gründen (wie territoriale Unversehrtheit, Souveränität, Unverletzlichkeit internationaler Grenzen, das Recht auf Neutralität und die freie Wahl von Bündnissen und der eigenen Sicherheitspolitik), die in der Schlussakte von Helsinki und der Charta von Paris niedergelegt sind, kann es gelingen, die gegenwärtigen Spannungen zu überwinden und an einem gemeinsamen Sicherheitsraum für ganz Europa mitzuwirken.

Modernisierungspartnerschaft erwünscht

Deutschland und andere westliche Partner haben in der Vergangenheit immer wieder Angebote gemacht, Russland aus seiner auf Energieressourcen aufbauenden wirtschaftlichen Monokultur heraus zu helfen. Die von Frank-Walter Steinmeier angestoßene „Modernisierungspartnerschaft“ während seiner ersten Amtszeit als Außenminister wurde von russischer Seite zwar begrüßt, aber nie konsequent umgesetzt.

Nur wenn Russland es schafft, seine ineffizienten Strukturen grundlegend zu modernisieren und insbesondere den jüngeren Menschen eine Zukunftsperspektive zu geben, wird es nicht mehr darauf angewiesen sein, mit riskanten außenpolitischen Aktionen von innenpolitischen Unzulänglichkeiten abzulenken. Dann wird es auf der internationalen Bühne auch wieder als gleichberechtigter Partner wahrgenommen und dadurch seiner größtenteils selbst verschuldeten Isolation entkommen.

 

Autor*in
Niels Annen
Niels Annen
Niels Annen ist seit 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Zuvor war er vier Jahre Staatsminister im Auswärtigen Amt. 
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