Warum ein islamischer Feminismus wichtig ist
Thomas Koe hler/photothek.net
Es gibt Menschen, die sagen, die großen Kämpfe sind vorbei, der Feminismus sei überflüssig. Sicher: Im Jahr 2017 dürfen Frauen wählen. Sie müssen auch nicht mehr ihren Mann fragen, ob sie eine Arbeit annehmen dürfen. Das alles haben mutige Frauen – und auch einige Männer – erkämpft. Doch auch heute ist weiter Mut gefragt, Missstände gegenüber Frauen zu benennen – gerade wenn es um die Rechte muslimischer Frauen geht.
Der Gegenwind der Glaubensschwestern
Gegenwind gibt es dabei nicht nur von Menschen, die glauben, Frauen seien weniger wert als Männer. Auch viele muslimische Glaubensschwestern haben Vorbehalte gegenüber islamischen und muslimischen Feministinnen. Ihrer Meinung nach müsse der Feminismus dort enden, wo „der Islam“ Grenzen ziehe. Schließlich sollen die Geschlechterrollen nicht „verwestlicht“ werden. Gegen westliche Konsumgüter haben sie hingegen nichts.
Unter „dem Islam“ verstehen sie dabei den patriarchal dominierten Islam. Daher ist auch die Empörung und Anfeindung gegenüber der kürzlich eröffneten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee der Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ates und ihren Mitstreitern unter diesen Frauen so enorm. Dort wo ein gemischtgeschlechtliches Gebet schon mal von einer Imamin angeleitet werden kann, scheint für diese Damen die Abschaffung des Islam besiegelt. Hier geht ihnen die Emanzipation zu weit. In der Tat: Was bliebe vom islamischen Patriarchat übrig, wenn Frauen in der Moschee den Ton angeben? Der gelebte Islam ist weltweit immer auch von Traditionen und sozialen Einflüssen der Gesellschaften oder wie hierzulande von muslimischen Moscheegemeinden beeinflusst. Die Funktion des Islam besteht für viele Musliminnen heute oftmals nur noch darin eine oberflächliche Identität statt Spiritualität zu stiften.
Wenn Feministinnen Musliminnen „befreien“ wollen
Muslimin und Feministin sein, dies widerspricht sich also nur dann, wenn sich der Aktivismus ausschließlich auf einige wenige Forderungen beschränkt, die die patriarchale Peergroup bedient. Berechtigt ist daher Kritik, wenn Feministinnen im Westen zu wissen meinen, wie Musliminnen befreit werden müssen. Musliminnen müssen auf Augenhöhe selbst artikulieren. Kritisch wird es jedoch bei jenen vermeintlichen islamischen Feministinnen, bei denen die Solidarität für andere dort endet, wo sie entscheidend ist. Wenn es etwa um Solidarität mit nicht verhüllten, sowie mit queeren Muslimen geht oder jenen, die sich von der Religion abwenden oder mit Musliminnen, die bi-religiöse Beziehungen befürworten oder mit denen, die das Kopftuch ablegen. All diese Forderungen und Positionen stellen für viele Musliminnen einen schweren Verlust und eine Schwächung ihrer Identität und Gemeinschaft dar.
Wenn nun aber vermeintlich islamische Feministinnen mit Kontakten und Aktivitäten in islamistische Kreise gegenüber der nichtmuslimischen Gesellschaft das Recht einfordern, sich verhüllen, monogam oder polygam heiraten sowie arrangierte Ehen anbahnen zu dürfen, wenn sie bei Diskriminierung und Sexismus oder Mobbing von nicht tuchtragenden Musliminnen schweigen, wie es heute an Universitäten und Schulen bittere Realität ist, dann liegt etwas gewaltig im Argen.
Die geschlechtergerechte Auslegung des Islam
Absurd wird es obendrein, wenn als Antwort auf den verbreiteten Sexismus die Verhüllung und die Geschlechtertrennung genannt werden. Aufgabe des islamischen Feminismus ist im Gegensatz zu muslimischen Feministinnen, eine geschlechtergerechte Auslegung des Islam.
Feminismus tritt für die Gleichberechtigung, für die Menschenwürde und für die Selbstbestimmung ein. Damit verweist der Feminismus nicht nur auf wenige Anliegen, die einen Menschen persönlich oder in einer Glaubensgemeinschaft bewegen. Es gelten gesamtgesellschaftliche Verhältnisse, diese sind nicht islamischer Natur. Auch wenn Feminismusakteurinnen in der Vergangenheit Migrantinnen und Musliminnen ausgeblendet haben, kann seit zehn Jahren eine Öffnung der femistischen Bewegung festgestellt werden.
Wer also heute medial beklagt, als gläubige Muslimin nicht am feministischen Diskurs teilnehmen zu dürfen, negiert die Realität. Vielmehr muss eine ebenso ehrliche wie kritische Auseinandersetzung mit dem Selbst- und Fremdbild sowie mit den Zuschreibungen innerhalb der eigenen Gemeinschaft stattfinden. Wer sich in Kreisen bewegt, die Frauen als Erfüllungsgehilfin ihrer Agenda verstehen, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, gegen Gleichberechtigung zu agieren.
Die Idee des Feminismus ist inklusiv
Auch sogenannte „rechte Feministinnen“ kreieren einen Feminismus nach eigenen Maßstäben. Auch sie treten selbstbewusst auf und fordern die gleichberechtigte Teilnahme in der rechten Politik. Rechte Männer leisten Widerstand, können aber dennoch nicht auf ihre Verstärkung verzichten. Die Idee des Feminismus ist inklusiv. So müssen sich auch muslimische Feministinnen die Frage beantworten: Für was stehe ich wirklich ein?
Die Deutsch-Marokkanerin wurde in Hannover geboren und lebt heute als Herausgeberin, Autorin und Dozentin in Berlin. 2006 gründete sie das erste und einzige multikulturelle Frauenmagazin Gazelle. 2010 erschien ihr Sachbuch „Muslim Girls – Wer wir sind, wie wir leben“, 2016 „Emanzipation im Islam – eine Abrechnung mit ihren Feinden“.